Bericht Vorlesungs- und Workshopreihe Legal Gender Studies - Feministisch.Ius

SCHWEIZ: LEGAL GENDER STUDIES

Gastbeitrag von Nicole NICKERSON / Marisa BEIER / Arezoo SANG BASTIAN / Youlo WUJOHKTSANG / Julia MEIER

In der Schweiz dominiert auch im Jahr 2020 die Vorstellung, das Recht sei eine unbefangene und geschlechtslose Instanz, welche der interessenneutralen Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens dient. Besonders dogmatische Lehrveranstaltungen gehen hierbei von einem apolitisch positiven Recht aus, welches sauber und handwerklich angewandt wird, jedoch nur minim anhand seiner gesellschaftlichen Grundlagen kritisiert werden soll. Doch dieses Bild täuscht, offenbart doch vor allem eine Auseinandersetzung mit spezifisch weiblichen* Erfahrungsräumen die ungenügende materielle Gleichheit zwischen Frau* und Mann*. Auf sozialwissenschaftlicher Ebene werden diese Perspektiven in der Lehre und Forschung seit längerem durch feministische Ansätze und die sogenannten Gender Studies vorangetrieben. In dieser interdisziplinären Herangehensweise liegt auch der Ursprung der Legal Gender Studies, die sich als kritische Strömung innerhalb der Rechtswissenschaften mit sowohl theoretischen als auch praktischen Bezügen verstehen.
 
Die Legal Gender Studies befassen sich mit dem gesellschaftlichen Verständnis und der Konstruktion von Geschlechtskategorien im und durch das Recht, sowie einer weitergehenden Analyse von Herrschaftsverhältnissen in einer Rechtsordnung. Und ihr Platz innerhalb des Schweizer Jus-Studiums muss aus diesem Grund unbedingt gestärkt werden (1). Dieses Ziel verfolgen wir im Verein F.IUS (Feministisch.IUS), welchen wir genau vor einem Jahr an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Zürich gegründet haben. Konkret haben wir in diesem Semester mit Unterstützung des Graduate Campus UZH die Vorlesungs- und Workshopreihe mit dem Titel “Legal Gender Studies: Entwicklungen in der Schweiz” organisiert, die schweizweit auf grosses Interesse gestossen ist.
 
Durch diverse unterschiedliche Themenblöcke konnten wir uns nicht nur vertieft mit feministischen Grundlagen auseinandersetzen – bspw. mit Philosophin Prof. Nadja El Kassar über den umstrittenen Stellenwert des Autonomie-begriffs –, sondern auch mit praktisch-strategischen Möglichkeiten – bspw. mit Prof. Elisabeth Holzleithner über strategische Prozessführung oder mit Prof. Judith Wyttenbach über die Chancen des CEDAW-Übereinkommens für die Schweiz (2). Expertinnen wie Prof. Michelle Cottier und PD Dr. Sandra Hotz konnten uns aufzeigen, wie wichtig es ist, diverse Rechtsprobleme stets durch die Brille der Legal Gender Studies zu betrachten, da die Gründe für bestehende Ungleichheiten sich oft nur so offenbaren lassen. Eine nachhaltige Verankerung der Legal Gender Studies im Jus-Curriculum wird dabei nicht nur als notwendig, sondern für eine juristische Ausbildung unerlässlich empfunden. Dies zeigt sich anhand praktischer Fälle, bspw. wenn sexistische Elemente einer rechtlichen Reform nur durch eine feministische Perspektive klar sichtbar werden (3). Recht soll also nicht nur Gender-sensibel praktiziert, sondern auch unterrichtet werden (4). Und die motivierten Nachwuchsforschenden und Studierende verschiedener Schweizer Universitäten, die sich mit mehreren Workshops ebenfalls an unserer Veranstaltungsreihe beteiligt haben, machen uns Hoffnung, dass dieses Anliegen auch im Jahr 2021 immer weiter vorangetrieben wird.
 
Feministisch.IUS hat mit der Veranstaltungsreihe “Legal Gender Studies - Entwicklungen in der Schweiz” im Jahr 2020 einen Schritt getan, um Know-How und Vernetzung im Diskurs der schweizerischen Gleichstellung in den Rechtswissenschaften voranzutreiben. In einem nächsten Schritt möchten wir als akademische Interessensorganisation auch aktiver im Lehrbetrieb unserer eigenen Fakultät mitwirken und zu einer Umgestaltung des Curriculums der Schweizer Rechtswissenschaften beitragen. Ein Grund voller Vorfreude ins Jahr 2021 zu blicken.

(1) Youlo Wujohktsang/Arezoo Sang Bastian, Von der Wichtigkeit der Legal Gender Studies im Jus-Studium, Beitrag zur Langen Nacht der Kritik (12. November 2020), S. 1.
(2) Ruth Bader Ginsburg, Sex Equality and the Constitution, Tulane Law Review 1978, S. 451 ff.; Marina A. L. Oshana, Personal Autonomy and Society, Journal of Social Philosophy 1998; S. 81 ff.; Judith Wyttenbach/Erika Schläppi, Teil 2: Die Bedeutung des Übereinkommens für die Schweiz und für Österreich, in: Erika Schläppi/Silvia Ulrich/Judith Wyttenbach, CEDAW: Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Frau: Allgemeine Kommentierung – Umsetzung in der Schweiz – Umsetzung in Österreich, Bern 2015, S. 61 ff.
(3) Michelle Cottier/Johanna Muheim, Travail de "care" non rémunéré et égalité de genre en droit de la famille suisse: Une évaluation critique du nouveau droit de l'entretien de l'enfant, Revue de droit suisse 2019, S. 61 ff.
(4) Vgl. dazu Kim Brooks/Debra Parkes, Queering Legal Education: A Project of Theoretical Discovery, Harvard Women's Law Journal 2004, S. 89 ff.; Cynthia Petersen, Living Dangerously: Speaking Lesbian, Teaching Law, Canadian Journal of Women and the Law 1994, S. 318 ff.

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