Surrogacy and Parenthood

EUROPE: GENDER DISCRIMINATION

2022

Mélanie LEVY, «Surrogacy and Parenthood : A European Saga of Genetic Essentialism and Gender Discrimination» (2022) 1, in: Mich. J. Gender & L., S. 121 ff.

Gastbeitrag von Mélanie LEVY, Universität Neuchâtel
 
 Der Artikel illustriert die Verschiebung von Normativitäten, von der Tradition hin zur Moderne und zurück, in Bezug auf die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft in nicht-traditionellen Familien, die durch grenzüberschreitende Leihmutterschaft entstanden sind.

Der grenzüberschreitende Charakter der Leihmutterschaft ist oft erzwungen, da die meisten innerstaatlichen Rechtsrahmen in Europa den Zugang zur Reproduktionsmedizin für nicht-traditionelle Familien noch immer einschränken. Zurück in der Heimat haben diese Familien Schwierigkeiten, Geburtsurkunden anerkennen zu lassen und eine rechtliche Elternschaft zu begründen. Die Diskrepanz zwischen sozialer Realität und innerstaatlichem Recht schafft eine rechtliche Grauzone mit beträchtlichen Unsicherheiten.

In seiner Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nationalen Behörden aufgefordert, die bestehenden Rechtsunsicherheiten zu korrigieren. Diese Entwicklung ist zu begrüssen. Gleichzeitig hat der Gerichtshof die aktuelle Grauzone aber mit genetischem Essentialismus gefüllt und geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Anerkennung der rechtlichen Elternschaft zugelassen. Während die ausländische Geburtsurkunde eines genetischen Vaters auf der Grundlage von Identitäts- und Interessenargumenten voll wirksam ist, akzeptiert das Gericht, dass eine genetische Mutter adoptieren muss, um eine rechtliche Eltern-Kind-Beziehung herzustellen. Letzteres gilt auch für nicht-genetische Eltern.

Der Artikel setzt sich kritisch mit diesen verschiedenen Ungleichgewichten auseinander. Er dekonstruiert den genetischen Essentialismus des Gerichtshofs, der die rechtlich relevanten Aspekte des Kindswohls und der kindlichen Identität auf den genetischen Link zu einem Elternteil reduziert. Diese biologisch bedingte Sichtweise der Elternschaft drängt den sozialen (d. h. nicht genetisch verwandten) Elternteil an den Rand und widerspricht dem Zweck der Reproduktionsmedizin, biologische Barrieren zu überwinden. Der Artikel schliesst mit der Verurteilung der geschlechtsdiskriminierenden Elemente der Macht und Kontrolle über die rechtliche Mutterschaft, die durch den Verfahrensschritt der Adoption auferlegt werden.

Direct link to the article (repository.law.umich.edu)
Gender Law Newsletter 2022#04, 01.12.2022