Klassismus und Grundgesetz

DEUTSCHLAND: VERFASSUNGSRECHT


2022

Nazli AGHAZADEH-WEGENER, Klassismus und Grundgesetz –
Verfassungsrechtlicher Schutz vor klassistisch-intersektionaler Diskriminierung als Antwort auf steigende Armut,
in: Verfassungsblog vom 5. August 2022.

«Das Vorhaben der Ampel-Regierung, mit dem Bürgergeld „Hartz IV“ abzulösen und durch die Corona- und Energiekrise ausgelöste Debatten um soziale Entlastungsmaßnahmen (zuletzt auch hier) bestätigen, dass Armut in Deutschland ein Maß erreicht hat, das strukturelle sozialstaatliche Korrekturen erfordert. Um Armut effektiv zu begegnen, bedarf es jedoch auch eines Umdenkens auf Verfassungsebene.
Denn Armut ist das Abbild einer strukturellen Benachteiligung aufgrund der sozioökonomischen Lage, die als Klassismus bezeichnet (und unter anderem hier, hier sowie hier geschildert) wird und häufig in Verschränkung mit anderen Ungleichheitsdimensionen (Intersektionalität) auftritt. Bleibt man beim vorherrschenden Verständnis des Verfassungsrechts, bietet das Grundgesetz keinen Schutz vor klassistisch-intersektionaler Diskriminierung. Weder das Sozialstaatsprinzip noch die Gleichheitsgarantien in Art. 3 GG können die Benachteiligung erfassen. Beide verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte enthalten allerdings Ansätze eines materialen Gleichheitsverständnisses, die ausgeschöpft werden können. Eine Zusammenschau des Sozialstaatsprinzips und der Gleichheitsgarantien bietet Schutz vor klassistisch-intersektionaler Diskriminierung.
Während in der politischen Debatte um Armut das Sozialleistungsrecht im Fokus steht, sollte bereits das zur sozialen Absicherung vorrangige Sozialversicherungsrecht in den Blick genommen werden. Eine klassistisch-intersektionale Benachteiligung wird aber dort und überhaupt im Recht nur aus der Perspektive materialer Gleichheit sichtbar.»

Direkter Link zum Artikel (verfassungsblog.de)
Direkter Link zum Vortrag von Nazli AGHAZADEH-WEGENER (lpeg.pubpub.org)

Gender Law Newsletter 2022#03, 01.09.2022