UNO interveniert: Schweiz missachtet Frauenrechte

SCHWEIZ: ASYLRECHT

Gastbeitrag von Lea HUNGERBÜHLER / Catarina FERRONI / Joanna FREIERMUTH / Lea KELLER, Asylex

Als Farah AsyLex kontaktierte, hatte sie alle Hoffnung verloren. Die Schweiz trat nicht auf ihr Asylgesuch ein und das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid. Sie wusste, dass eine Beschwerde auf nationaler Ebene nicht mehr möglich war und hatte psychisch den absoluten Tiefpunkt erreicht. Vor ihrer Flucht in die Schweiz lebte Farah in einem griechischen Flüchtlingslager auf Lesvos in einem Zelt im «Jungle», wo sie täglich um ihr Essen und Trinken kämpfen musste und ohne Zugang zur dringend notwendigen medizinischen Versorgung war. Zwei Mal wurde sie Opfer einer Vergewaltigung auf der Insel, eine davon endete mit einer Schwangerschaft und anschliessender Abtreibung. Sie erhielt weder Schutz noch Unterstützung durch den Staat. Dennoch will die Schweiz sie nach Griechenland zurückschicken, da sie dort formell Asyl erhalten hatte. Verzweifelt über den Entscheid versuchte sie sich das Leben zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt wandte sich ein Freund von ihr an AsyLex, einen Verein, der mit über 100 freiwilligen Mitarbeitenden Asylsuchende in ihrem Verfahren rechtlich berät und unterstützt. Für die Freiwilligen von AsyLex war offensichtlich, dass die Behörden bei diesem Entscheid die frauenspezifischen Aspekte nicht angemessen berücksichtigt hatten und dadurch internationale Verpflichtungen der Schweiz verletzt wurden. Mit der Unterstützung von Dr. Fanny de Weck und Dr. Stephanie Motz (RISE Attorneys-at-law) erarbeiteten die AsyLex Mitarbeitenden eine Beschwerde an den UNO-Frauenrechtsausschuss (CEDAW). Für das Zustandekommen der Beschwerde waren intensive Recherchen und das Sammeln unzähliger Beweise notwendig. Der Zeitdruck war gross: Farah konnte jederzeit ausgeschafft werden. Erfreulicherweise gab CEDAW dem Antrag auf vorläufige Massnahmen statt und verfügte einen sofortigen Ausschaffungsstopp. Wenig später erkannten auch die Schweizer Behörden, die Unzulässigkeit der Ausschaffung und traten auf Farahs Asylgesuch ein.
 
Arezu aus Afghanistan erlitt ein ähnliches Schicksal – häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe auf der Flucht und Schweizer Behörden und Gerichte, welche sie trotz all dem nach Griechenland zurück überstellen wollen, wo sie auf der Strasse weiterer sexueller Gewalt schutzlos ausgeliefert wäre. Auch in ihrem Fall musste AsyLex und Dr. Stephanie Motz bis vor CEDAW kämpfen, um die drohende Ausschaffung nach Griechenland zu verhindern.  
 
Ada kontaktierte AsyLex, als sie im Flughafengefängnis inhaftiert war. Da sie einen negativen Asylentscheid erhalten hatte, wurde sie, nachdem die Behörden ihren Aufenthalt in der Schweiz über Jahre hinweg geduldet hatten, plötzlich in Ausschaffungshaft genommen. Sie sollte zurück nach Äthiopien geschickt werden. Seit 2019 vertritt AsyLex Personen in Administrativhaft und verteidigt deren Interessen und Rechte - darunter auch diejenigen von Ada. Es begann ein langwieriger Prozess bezüglich der Rechtmässigkeit von Ada’s Inhaftierung. Trotz des hängigen Prozesses bestand die konstante Gefahr der Ausschaffung nach Äthiopien. Äthiopien - das Land, aus dem sie nach jahrelanger Unterdrückung, Verfolgung und Belästigungen durch Polizeibeamte und Misshandlungen endlich fliehen konnte. Das Land, in dem sie sich zu keiner Tageszeit sicher fühlte und von behördlichem Schutz nicht zu träumen wagte. Das Land, in dem sie ihre Familie verloren hatte. Trotz ihrer belasteten Vergangenheit fasste Ada immer wieder von neuem Mut und sie schaffte es, sich ein Leben in der Schweiz aufzubauen. Sie lernte Deutsch, schloss Freundschaften und begann eine Schulausbildung. Aufgrund dieser vorbildlichen Integration und vor allem aber weil sich die Situation in Äthiopien seit Ada’s Asylgesuch in der Schweiz enorm verschlechtert hatte, beantragte AsyLex, dass der Wegweisungsentscheid nochmals neu beurteilt werden sollte.  Trotz grassierendem Bürgerkrieg in Äthiopien mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen, welche oft mit sexueller Gewalt verbunden sind und die Frauen ganz besonders treffen, wiesen die Behörden das Gesuch ab. Daraufhin reichte AsyLex Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht ein, welches der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung gewährte und damit den Weg zur jederzeitigen Ausschaffung ebnete. Parallel dazu wurde für Ada ein Sonderflug organisiert - ihre Ausschaffung unter Zwang und mit Fesselung stand unmittelbar bevor. Dies war für die schwer traumatisierte junge Frau unvorstellbar: wieder zurückzukehren an den Ort, an dem sie tagtäglich Missbrauch und Verfolgung ausgesetzt ist - unmöglich. Für AsyLex war klar, dass eine Ausschaffung den internationalen Verpflichtungen der Schweiz hinsichtlich frauenspezifischer Aspekte diametral widerspricht. Die AsyLex Rechtsberaterinnen gelangten innert kürzester Zeit – wieder mit der Unterstützung von Dr. Stephanie Motz – an CEDAW und beantragten einen sofortigen Vollzugsstopp. In letzter Minute erliess CEDAW «Interim Measures» und wies die Schweiz an, jegliche Vollzugsmassnahmen auszusetzen. Der Sonderflug hob ohne Ada an Bord ab.
 
Diese Beispiele zeigen, dass die Schweizer Behörden und Gerichte frauenspezifischer Verfolgung zu wenig Beachtung schenken. Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt erhalten nicht die ihnen zustehende Erholungszeit und Schutz, sondern werden entgegen den internationalen Verpflichtungen in ihr Heimat- oder vermeintlich «sichere» Drittstaaten ausgeschafft. Erst internationale Gerichte scheinen die Schweizer Behörden und Gerichte dazu zu bewegen, ihre Verpflichtungen zum Schutz von Frauen wahr zu nehmen und in der Realität umzusetzen.
 
Ohne den Einsatz der ehrenamtlich tätigen Rechtsvertreterinnen wären Farah und Arezu jetzt in Griechenland – schutz- und obdachlos und tagtäglich sexueller Gewalt ausgesetzt. Und Ada wäre wohl auf sich alleine gestellt mitten in den Wirren des äthiopischen Bürgerkriegs. Doch mit dem Führen dieser und anderer internationaler Menschenrechtsverfahren soll eine Wirkung über den Einzelfall hinaus erzielt werden: Die Entscheide internationaler Instanzen sind als «Case Law» wegweisend und teils auch verbindlich, weit über die Schweiz hinaus. Mit sogenannter «Impact Litigation» auf internationaler Ebene beabsichtigt AsyLex damit, die Rechtsprechung nachhaltig zu beeinflussen und die Rechte der Frauen dank der Kraft des internationalen Rechts zu stärken.
 
Das Erheben von internationalen Beschwerden ist enorm zeit- und ressourcenintensiv und daher für eine junge Organisation wie AsyLex eine grosse Herausforderung – insbesondere für die meist ehrenamtlich tätigen Rechtsvertreterinnen. Die Dankbarkeit von Farah, Arezu und Ada sowie unzähliger anderer Klientinnen gibt ihnen aber immer wieder die Kraft und Energie, angesichts dieser gravierenden Menschenrechtsverletzungen den Mut nicht zu verlieren und auf juristischem Weg für die Rechte der Frauen weiter zu kämpfen.
 
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