Ueberblick über die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum GlG im Jahr 2023

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Gender Law Newsletter FRI 2024#1, 01.03.2024 - Newsletter abonnieren

SCHWEIZ: GLEICHSTELLUNGSGESETZ

Zusammengestellt und kommentiert von Rosemarie Weibel

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Berichtsjahr befasste sich wiederum mit mehreren Urteilen zur sexuellen Belästigung, darunter eine Kündigung, die in direktem Zusammenhang mit der Beschwerde der Angestellten stand und somit missbräuchlich war. Lohndiskriminerung stösst beim Bundesgericht auf kein offenes Ohr: selbst die horizontale Segregation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt rechtfertigt nunmehr Lohnunterschiede unter Kolleg*innen. Auch der Anwendungsbereich des GlG bleibt eng: Das Argument einer pensionskassenversicherten Mutter, die fehlende prozentuale Anpassung des BVG-Koordinationsabzugs bei Teilzeitarbeitsverhältnissen sei diskriminierend, wurde abgewiesen.

Sexuelle Belästigung
Auch im Berichtsjahr betrafen mehrere Urteile das Thema der sexuellen Belästigung, darunter ein Urteil in italienischer Sprache. In den beurteilten Fällen ging es um die Definition von sexueller Belästigung, die jetzt klar als toxisches Element in den Arbeitsbeziehungen erkannt wird, sowie um das Mass der Verpflichtung der Arbeitgebenden, dagegen vorzugehen.

BGE 4A_47/2022 vom 23.11.2022– Beschwerde in Zivilsachen:
Die Beschwerde wegen missbräuchlicher Kündigung wurde abgewiesen, da Grund für die Kündigung eine Reorganisation war: es bestand kein Kausalzusammenhang mit den erlittenen (und festgestellten) sexuellen Belästigungen. Da die Klägerin keine diskriminierende Kündigung nach GlG und insbesondere keine Entschädigung wegen sexueller Belästigung als solcher (Art. 5 Abs. 3 GlG), d.h. unabhängig von der allfälligen Missbräuchlichkeit der Kündigung, geltend gemacht hatte, konnte ihr eine solche nicht zugesprochen werden.
Das Urteil zeigt einerseits, dass das GlG bei der Anwaltschaft noch immer nicht konsequent angewandt wird und andererseits, dass bei Verdacht auf diskriminierende Kündigung jedenfalls gleichzeitig oder zumindest im Eventualstandpunkt eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 3 GlG explizit einzuklagen ist.

BGE 4A_381/2022 vom 22.12.2022– Beschwerde in Zivilsachen:
In erster Instanz hatte die Arbeitnehmende eine Entschädigung wegen sexueller Belästigung von CHF 19'506.00 eingeklagt, CHF 3'000.00 als Genugtuung und – mit seperater Klage – CHF 10'953.60 als Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung, 2'258.45 dreizehnter Monatslohn anteilsmässig sowie die Berichtigung des Arbeitszeugnisses. Das erstinstanzliche Gericht vereinigte die beiden Verfahren und sprach der Klägerin CHF 19'506.00 als Entschädigung wegen sexueller Belästigungen (Art. 5 Abs. 3 GlG) zu, den 13. Monatslohn anteilsmässig sowie die Berichtigung des Arbeitszeugnisses. Das Bundesgericht lehnt die Beschwerde des Arbeitgebers ab.

BGE 4A_283/2022 vom 15.03.2023 – Beschwerde in Zivilsachen (siehe NL 2023#3):
Das Bundesgericht bestätigt die Kündigung einer Bankangestellten als missbräuchlich, weil ihr gekündigt worden war, nachdem sie sich in guten Treuen wegen sexueller Belästigung beschwert hatte, worauf die Bank geltend machte, das Vertrauensverhältnis sei zerstört weil die Beschwerde den Ruf des angezeigten Mitarbeiters geschädigt habe. Damit stand die Kündigung in direktem Zusammenhang mit der Beschwerde und war somit missbräuchlich (art. 336 Abs. 1 Bst. d OR).
Das Urteil ist auch deshalb interessant, weil es aufzeigt, dass für den Entlastungsbeweis nicht ausreicht, dass die Arbeitgeberin über interne Direktiven bezüglich des Verfahrens bei sexueller Belästigung verfügt. Diese müssen auch leicht zugänglich und den Vorgesetzten bekannt sein.

BGE 8C_126/2023 vom 04.09.2023 – öffentlichrechtliche Beschwerde:
Der Fall betrifft einen Beamten bei der Erwachsenenschutzbehörde Genf, der wegen Verletzung von Art. 4 GlG (sexuelle Belästigung) sowie weiterer Dienstpflichten abgesetzt wurde. Das Bundesgericht bestätigt den kantonalen Entscheid und damit die Entlassung. Das Urteile enthält eine ganze Reihe von Ausdrücken und Bemerkungen des Beamten, die als diskriminierend eingestuft wurden. Außerdem: «Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Beschwerdeführer nicht die Absicht hatte, zu belästigen, oder dass seine Bemerkungen oder sein Verhalten in einem paternalistischen oder humorvollen Kontext stattfanden, bleibt die Tatsache bestehen, dass sie der Adressatin unangenehm waren".

Lohndiskriminierung
In keinem der Bundesgerichtsurteile betreffend Lohndiskriminierung wurde eine solche anerkannt.
Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das Gleichstellungsgesetz diesbezüglich an seine Grenzen gestossen zu sein scheint und eine öffentliche Diskussion zum Wert einer Arbeit wäre dringend notwendig. Das Urteil vom 15.05.2023 zum Beispiel zeigt, dass der Markt (d.h. die Kollektivität), der zur Rechtfertigung bestimmter Lohnunterschiede hinzugezogen wird, an sich diskriminierend ist. So werden zum Beispiel technische Berufe (d.h. traditionelle Männerberufe) besser bezahlt als humanistische (traditionell eher von Frauen ausgeübte). Mit anderen Worten, die horizontale Segregation rechtfertigt nunmehr Lohnunterschiede auch bei ein- und demselben Arbeitgeber.

BGE 8C_545/2022 vom 08.03.2023– öffentlichrechtliche Beschwerde:
Der Beschwerdeführer, ein diplomierter Psychologe mit verschiedenen Weiter- und Fortbildungstiteln, der seit 1989 bei der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich gearbeitet hatte, gelangte zum dritten Mal ans Bundesgericht. In einem ersten Entscheid hatte das BGer festgehalten, dass eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Psychologe/in ist ein typischer Frauenberuf) wahrscheinlich sei. In einem zweiten Entscheid hatte es weitere Anweisungen zur Vertiefung der Frage einer allfälligen Diskriminierung mit Bezug auf die Vergleichsfunktionen Ingenieurin/Ingenieur, Revisorin/Revisor und Steuerkommissärin/Steuerkommissär erteilt.
In seinem dritten Urteil kommt das BGer nun zum Schluss, dass das Gehalt des Beschwerdeführers zum Teil tiefer, zum Teil gleich wie die Vergleichsfunktionen war und sich dabei auf objektive Gründe stützt (Master, verlangte Erfahrung). Dem Personalamt des Kantons Zürich ist es demnach gelungen, den Gegenbeweis zu führen, weshalb der kantonale Entscheid nun bestätigt wird.

BGE 4A_344/2022 vom 15.05.2023 – Beschwerde in Zivilsachen:
Eine Spezialistin für digitale Kommunikation hatte eine Lohndiskriminierung gegenüber einem anderen Spezialisten für digitale Medien glaubhaft gemacht. Das Bundesgericht bestätigt das kantonale Urteil, wonach ein Unterschied gerechtfertigt ist, wenn der Markt selbst ihn herstellt. Und der Markt bezahlt in der Tat eine Person mit einer technischen Ausbildung besser als eine Person mit einer eher humanistischen Ausbildung wie diejenige der Beschwerdeführerin. Dies zeigt die schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE). Bei der LSE handelt es sich um eine gerichtsnotorische Tatsache, die weder behauptet noch bewiesen werden muss, noch ist den Parteien zu diesem Thema gerichtliches Gehör zu gewähren (sic!).

BGE 8C_320/2022 vom 30.06.2023 – öffentlichrechtliche Beschwerde:
Lehrperson Primarstufe 1.-2. KL Volksschule (Kindergarten) Basel-Stadt - keine Willkür bei der Zuweisung einer höheren Klasse an Primarschullehrpersonen im Vergleich. Das Unterrichten in der Primarschule ist heute ein typischer Frauenberuf, so dass es keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Vergleich zum Unterrichten in Kindergärten geben kann.

BGE 4A_427/2023 vom 08.11.2023 – Beschwerde in Zivilsachen:
Auch in diesem Fall wurde die Klage wegen Lohndiskriminierung abgewiesen. Sie betraf die Leiterin eines Security Operations Center, die einen Lohnunterschied gegenüber ihr untergeordneten Mitarbeitern geltend gemacht hatte. Das Bundesgericht bestätigt das kantonale Urteil, wonach der Lohnunterschied durch Ausbildung, Dienstalter, Alter und Berufserfahrung gerechtfertigt war. Der Unterschied ist (bzw. war) verhältnismässig, weil er zeitlich begrenzt war: nach einigen Jahren überstieg der Lohn der Klägerin denjenigen der Mitarbeiter. Eine Benachteiligung bei der Beförderung wurde als nicht glaubhaft beurteilt.

BGE 8C_272/2023 vom 14.12.2023 – öffentlichrechtliche Beschwerde:
Das Bundesgericht hatte die Klage wegen Lohndiskriminierung zunächst gutgeheissen, auch wenn der Lohnunterschied unter 15% lag und im Laufe der Zeit abnahm (BGE 8C_728/2021 vom 18.05.2022 (NL 2022#03). Damit oblag es nun der Arbeitgeberin, allenfalls den Gegenbeweis zu erbringen, dass die Lohnunterschiede objektiv gerechtfertigt sind. Im Entscheid vom 14.12.2023 schützt das Bundesgericht nun den kantonalen Entscheid, wonach der Arbeitgeber (Kanton Genf) den Beweis erbracht habe, dass keine Lohndiskriminierung vorliege. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde einzig darin gutgeheissen, dass im kantonalen Verfahren keine Gerichtskosten auferlegt werden dürfen, mutwillig war die Klage ja auch angesichts des Bundesgerichtsurteils vom Mai 2022 nicht (Art. 13 Abs. 5 GlG).

Mutterschaft
BGE 4D_49/2022 vom 07.06.2023 – subsidiäre Verfassungsbeschwerde (siehe NL 2023#4):
Nach Ablauf der 16. Woche nach der Geburt des Kindes sind stillende Frauen nicht berechtigt, ohne weiteres von der Arbeit fernzubleiben. Sie haben lediglich das Recht, auf Antrag hin die dafür erforderliche Zeit in Anspruch zu nehmen.

Sozialversicherungen
BGE 165/2022 vom 16.03.2023, teilweise publiziert als BGE 149 V 106 – öffentlichrechtliche Beschwerde:
Nur der Teil des Lohnes, der den so genannten koordinierten Lohn übersteigt (derzeit: 25'725.00/Jahr, Art. 8 BVG), ist in der Pensionskasse versichert. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dies sei frauendiskriminierend, weil es Teilzeitbeschäftigte und damit überwiegend Frauen benachteilige, weshalb eine mittelbare Diskriminierung vorliege. Den Vorsorgeeinrichtungen steht es frei, in ihren Vorsorgeplänen den Koordinationsabzug zu reduzieren, ihn dem Beschäftigungsgrad anzupassen oder ganz darauf zu verzichten. Dass die Vorsorgeeinrichtung von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ist nach Ansicht des Bundesgerichts nicht zu beanstanden. Auch aus dem GlG kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten, da dieses ausschliesslich für Arbeitsverhältnisse gilt und somit Pensionskassenverhältnisse ausschliesst.
Dabei kann frau sich allerdings fragen, ob die Pensionskassenbeiträge der Arbeitgebenden nicht auch Lohnbestandteil sein könnten, was an sich in den Geltungsbereich des GlG fallen sollte. Solches wurde allerdings offenbar nicht geltend gemacht wurde.

Neuerungen
Im Januar 2024 wurden verschiedene Anpassungen an der sogenannten Toleranzschwelle in Logib Modul 1 umgesetzt. Bei der Überprüfung der Einhaltung der Lohngleichheit im Beschaffungswesen des Bundes gilt die Lohngleichheit als nicht erfüllt, wenn sie den neu so genannten Grenzwert von 5 Prozent überschreitet. Für Lohngleichheitsanalysen, die mit dem Logib-Tool durchgeführt werden und über den Kontext des öffentlichen Beschaffungswesens hinausgehen, wird neu ein – fakultativer – Zielwert von 2,5 Prozent ausgegeben. Für weitere Informationen: Logib Modul 1: Anpassung der Toleranzschwelle 2024 auf der Website des EGB (ganz unten auf der Seite) und der Artikel 'Schichtzulagen und Lohngleichheitsanalyse mit Logib' im Gender Law Newsletter FRI 2023#4, 01.12.2023


Per il riassunto della giurisprudenza in materia di Lpar in italiano si veda: Il sito sentenzeparita.ch aggiornato con le sentenze pubblicate nel 2023