Migrantin als Hausangestellte ausgenützt - auch ein Straftatbestand nach Art. 157 StGB

SCHWEIZ: STRAFRECHT

Bundesgericht, 26. August 2020 (6B_430/2020)

Die Senegalesin B. war von ihrer Landfrau A. in der Schweiz als Haushaltshilfe angestellt. Nachdem A. bereits in einem Administrativstrafverfahren des Kantons Genf betreffend Arbeitsaufsicht verurteilt worden war, stellte sich vor Bundesgericht die Frage, ob parallel dazu auch eine Bestrafung wegen Ausnützung einer unerfahrenen Person nach Art. 157 StGB (Wucher / usure) und wegen Anstiftung zur unerlaubten Ein- und Ausreise oder zum unerlaubten Aufenthalt (Art. 116 Abs. 1 lit. a StGB) vorliege (ne bis in idem). A. wurde deswegen von der Vorinstanz zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Daneben muss A. die Verfahrenskosten tragen, dem Opfer B. einen Genugtuungsleistung von CHF 2'000 zuzüglich Zinsen erbringen (Art. 49 OR) sowie CHF 27'458 als Schadenersatzanspruch für die Auslagen im Verfahren leisten.
Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass dem kantonalen Administrativverfahren und dem Strafverfahren nicht die genau gleichen Tatbestandselemente zugrunde liegen.
 
Kommentar Sandra Hotz: Sei es als Kindermädchen, Seniorenbetreuerinnen oder Reinigungskraft, Migrant_innen leisten einen sehr wichtigen Beitrag für die schweizerische Gesellschaft. Als Personen sans papiers geniessen sie darüber hinaus nicht nur einen fraglichen vertraglichen Arbeitnehmerinnenschutz, sondern leben ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz. Weil diese Migrant_innen oftmals arbeiten ohne dass sie Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, haben sie im Alter auch kein Anrecht auf Sozialversicherungsgelder; dabei wäre eine Anmeldung bei den Ausgleichskassen pro futuro grundsätzlich möglich, auch für Personen sans papiers. Durch die Anmeldung wird ihnen die Möglichkeit offengelassen bei einer späteren Regularisierung des Aufenthaltsstatus im Pensionsalter auch eine AHV-Rente in der Schweiz ausbezahlt zu bekommen. Dasselbe gilt, wenn eine Person sans papiers sich später rechtmässig in einem Land aufhält, mit dem die Schweiz ein bilaterales oder multilaterales Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat. Das einbezahlte Geld ist dann nicht verloren.

Vgl. Kommentar von Werner Gloor, Newsletter, UniNE, CERT dazu, warum in diesen «modernen Arbeitsformen und – verträgen», die Behelfe des Vertragsrechts wie Art. 21 OR und Art. 320 Abs. 3 OR nicht zielführend sind für die betroffenen Arbeitnehmerinnen.
 
Vgl. Schlussbericht «Sans-Papiers in der Schweiz 2015» von der Universität Genf, Swiss Forum for Migration and Population Studies und B,S,S im Auftrag des SEM: Über 80 Prozent der Sans-Papiers gehen einer Arbeit nach. 53 Prozent davon arbeiten in Privathaushalten.

Direkter Zugang zum Urteil (bger.ch)