Newsletter FRI 2023#2 - Editorial

Liebe Leser*innen 
Im FRI-Exchange im Anschluss an unsere diesjährige Jahresversammlung vom 29. April haben Sandra Hotz und Nula Frei zwei kantonale Gleichstellungsgesetze vorgestellt, nämlich den Entwurf zum Baslerischen Gleichstellungsgesetz und die zwei am 23.März 2023 angenommenen Genfer Gleichstellungsgesetze.
In Basel-Stadt liegt ein Entwurf für ein Kantonales Gleichstellungsgesetz zu Geschlecht und sexueller Orientierung vor. Zweck des Gesetzes ist es, «Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung zu bekämpfen sowie die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung in allen Lebensbereichen zu fördern.» Das Gleichstellungsgesetz geht somit von einem weiteren Verständnis von Geschlecht aus als das eidgenössische Gleichstellungsgesetz (zumindest was die bisherige Rechtsprechung anbelangt), indem es auf sämtliche Aspekte mit Bezug auf Geschlecht Anwendung finden soll, d.h. Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck, sexuelle Orientierung. Das Gesetz soll es dem Kanton ermöglichen, sich aktiv für die Gleichstellung aller Menschen einzusetzen, die aufgrund von Geschlechterstereotypen diskriminiert werden. Auch bezüglich Anwendungsbereich soll das bastelstädtische Gleichstellungsgesetz nicht zur auf die Arbeitswelt, sondern in allen Bereichen Anwendung finden. Zuständig für seine Umsetzung sind sämtliche Departemente und Fachbereiche, da es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt. Die Fachstelle für Gleichstellung sowie die Gleichstellungskommission übernehmen Beratungs- und Unterstützungsfunktion. In öffentlich-rechtliche Anstalten und Unternehmen sollen Frauen und Männer zu mindestens je einem Drittel vertreten sein. Das Gesetz enthält weiter ein Kapitel zum Verfahren vor der kantonalen Schlichtungsstelle für Diskriminierungsfragen, zuständig für alle Streitigkeiten im Arbeitsverhältnis, die das Geschlecht in allen Facetten sowie die sexuelle Orientierung betreffen.
Genf seinerseits verfolgt einen anderen Weg: Es hat ein allgemeines Rahmengesetz gegen Diskriminierung erlassen (Loi générale sur l’égalité et la lutte contre les discriminations - LED). Daneben sollen sektorielle Gesetze das Grundgesetz konkretisieren, so als erstes die Loi sur l’égalité et la lutte contre les discriminations liées au sexe et au genre – LED-Genre. Das Rahmengesetz enthält eine Auflistung von Merkmalen, aufgrund derer namentlich nicht diskriminiert werden darf, nebst den «klassischen» unter anderen die affektive oder sexuelle Orienteriung, Geschlechtsidentität und -ausdruck sowie physische Besonderheiten. Verboten sind insbesondere sämtliche Formen von Gewalt und Diskriminierung und der Staat berücksichtigt die spezifischen Bedürfnisse aufgrund der erwähnten persönlichen Merkmale. Auch hier ist die Förderung der Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe. Erwähnt werden insbesondere die spezialisierte Unterstützung von Opfern von Gewalt und Diskriminierung, eine gut zugängliche Kommunikation frei von Stereotypen, die Erhebung von Statistiken und Entwicklung von Indikatoren, Information und Sensibilisierung, usw. Der Staat soll weiter auch den privaten Sektor zur Einhaltung der Prinzipien des Gesetzes auffordern, unter anderem indem die Einhaltung der Gleichstellung als Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden darf. Wie eingangs erwähnt ist vorgesehen, dass der Kanton sektorielle Gesetze gegen Diskriminierung erlässt.
Gleichentags wurde denn auch das LED-Genre erlassen, dessen Zweck die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männer ungeachtet derer sexueller Orientierung ist sowie die Bekämpfung von Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, affektiver und sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Intergeschlechtlichkeit. Das Gesetz enthält einen langen Katalog von Definitionen zu Begriffen wie Biphobie, Homophobie, Lesbophobie, Belästigungen verschiedener Art, Regenbogenfamilien, Intersektionalität usw. usf. Unter den Massnahmen speziell erwähnt wird der Schutz bezüglich Geschlechtsidentität und Intergeschlechtlichkeit sowie von Regenbogenfamilien und eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter in allen Bereichen der Verwaltung, in der Privatwirtschaft und im Vereinswesen. Sektorielle Massnahmen sind vorgesehen im Bildungs- Gesundheits- und Sozialwesen sowie mit Bezug auf den öffentlichen Raum, der für alle sicher und zugänglich sein soll. Wie das Basler Gesetz sieht auch das Genfer Gesetz Massnahmen gegenüber der Privatwirtschaft vor sowie ein Büro für die Förderung der Gleichstellung und Gewaltprävention.
Im Anschluss an die Präsentation der beiden Vorlagen durch Sandra Hotz und Nula Frei haben die Anwesenden unter der Moderation von Zita Küng angeregt diskutiert darüber, was denn nun solch umfassende Gleichstellungsgesetze, in denen die Gleichstellung Frau/Mann nicht mehr explizit bzw. als eine Forderung unter anderen erwähnt wird, für die Gleichstellung von Frauen und Männern bedeuten. Das heisst, ob Frauenrealitäten damit nicht im Hintergrund insbesondere queerer Forderungen und Interessen verschwinden. Oder mit anderen Worten, ob dadurch nicht der Blick auf nach wie vor patriarchale Strukturen verschleiert wird. Dank der kompetenten Moderation von Zita Küng konnte das Konzept «FRI exchange» umgesetzt werden: In einer wohlwollenden Atmosphäre kontrovers diskutieren, ins Unreine denken. Die verschiedenen Ebenen der Diskussion zwischen «Frauenrechtlerinnen*», wechselten zwischen theoretischen Konzepten, verschiedenen Ausgangspunkten und den zu erwartenden politischen und konkreten Folgen der jeweiligen Regelungsvorschlägen. Einig waren sich die Anwesenden, dass dies noch nicht das Ende der Debatte war, aber ein wichtiger Einstieg.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Isabella Tanner (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel