Newsletter FRI 2023#1 - Editorial

Liebe Leser*innen 

Am 9.-10. Februar 2023 hat in Neuenburg die vom FRI organisierte Gender Law Konferenz 2023 stattgefunden zum Thema IN-CORPORE: Was das Recht mit (oder an?) unserem Körper macht. Die Konferenz zielte darauf ab, feministische und queere Perspektiven zur Rolle des Rechts zu erfassen, zu entwickeln und darüber nachzudenken, wie diese in der Gesellschaft einverleibt sind. Die Wirkungen des Rechts auf unsere Körper sollten aus einer ganzheitlichen, vielschichtigen und interdisziplinären Perspektive betrachtet werden.

Die Konferenz war in vier Blöcke gegliedert, jeweils eingeleitet mit einer Keynote. Es ging dabei um die Frage, wie das Recht auf das eigene Selbstbild, auf das Zugehörigkeitsgefühl oder allgemein auf unsere Emotionen wirkt; wie Reproduktionstechnologien oder wie das Recht unter dem Einfluss neuer Technologien Körper diszipliniert; wie die Situation in Gefängnissen ist und wie das Gesetz auf Gewalt reagiert und staatliche Institutionen mit Frauen- und queeren Körpern umgehen; schliesslich auch, was das Recht unserem Körper über den Tod hinaus vorschreibt und welchen Platz es der Trauer einräumt, zum Beispiel bei Fehlgeburten.

Dabei kam immer wieder zum Vorschein, wie sehr der Blickwinkel und damit die strukturelle Zusammensetzung des Gesetzgebers, die Örtlichkeiten sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung das Recht bzw. dessen konkrete Auswirkungen auf unsere Körper beeinflussen.
Dies wurde schon anlässlich der ersten Keynote von Mishuana Goeman, Professorin für Indigenous Studies in Buffalo, USA, klar: Sie erläutert, wie häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe in Stammesnationen deren Jurisdiktion entzogen werden, wenn zwar das Opfer, nicht aber der Täter der jeweiligen Gemeinschaft angehört. Damit wird die Native American, «das Opfer» dem Schutz ihrer eigenen Gemeinschaft entzogen – aber eben, einzig der Kolonisator weiss, was recht ist und spricht Recht…

Ein Aspekt, der uns immer wieder vor Augen geführt wird, ist, wie Kategorisierungen zwar dazu verhelfen können, ein Recht geltend zu machen, zugleich aber auch Ausschluss bedeuten. - Die Definitionsmacht liegt dabei nicht unbedingt bei den Betroffenen: Wenn zum Beispiel, ein internationaler Konsens bezüglich Gewalt während der Geburt besteht resp. bestünde, ermöglicht dies gebärenden Frauen, gegen bestimmt Übergriffe vorzugehen. Andererseits finden sich aber Betroffene möglicherweise in einer bestehenden Kategorisierung nicht wieder, was sie etwa bei genderspezifischen Verfolgungsgründen im Asylwesen vor fast unüberwindbare Hürden stellen kann. Und wie ist damit umzugehen, wenn zivilstandsrechtlich anerkannte Frauen im Gefängnis trotzdem in die Männerabteilung eingewiesen werden, weil sich bei einer Leibesvisite herausstellt, dass sie männliche Geschlechtsorgane haben? Oder wenn ältere Frauen in Gefängnissen zwar als spezifische Gruppe wahrgenommen werden, aber ihre besondere Verletzlichkeit schliesslich dazu führt, sie zu isolieren?

Obschon wir alle kontinuierlich, mehr oder weniger, verletzlich sind, dient das Kriterium der Vulnerabilität oftmals als mögliche spezifische Anspruchsvoraussetzung für staatlichen Schutz. Das allein legt nahe, dass dem Gesetzgeber als Rechtssubjekt doch eher eine nicht verletzliche Person, ein gesunder Mensch resp. ein gesunder Mann vorschwebte… Verletzlichkeit stellt eine Normabweichung dar, der «andere» ausgesetzt sind – Frauen, Kinder, Kranke …. Damit werden diese Personen auf eine spezifische Opferrolle festgelegt, ihre Vulnerabilität essenzialisiert und neue Grenzen geschaffen. Das Recht kann dann paternalistisch und autoritär bestimmen, was für diese*n andere*n angebracht ist.
Gerade auch beim Umgang mit dem toten Menschenkörper kommt diese Normvorstellung ans Licht – denn auch gesunde Personen sterben. Es war denn auch das einzige Thema, bei dem von der Unversehrtheit (intangibilité) des Körpers – des Leichnams – und dem sorgsamen Umgang mit dem Leib die Rede war… Dabei müsste klar sein, dass z.B. Art. 10 Abs. 2 BV den Anspruch auf körperliche und geistige Unversehrtheit keineswegs auf den toten Körper beschränkt.
Besonders eindrücklich bezüglich des Einflusses der Modellvorstellungen war die Keynote von Olga Jurasz, die etwa Urteile des internationalen Strafgerichtshofs diskutierte, bei denen es um sexuelle Gewalt gegenüber Soldatenmädchen ging. Betrachtet man sie nicht als Soldaten, kann die sexuelle Gewalt erkannt werden. Betrachtet man sie als solche, ist der Schutz geringer. Der Gerichtshof hat die Sache so gelöst, dass unterschieden wurde zwischen Momenten des Kampfeinsatzes und Momenten sexueller Gewalt, im Bestreben, der besonderen Situation der Soldatenmädchen gerecht zu werden. Eine Trennung, die dem effektiv Geschehenen und Erlebten kaum gerecht werden kann.

Das Ausweichen auf Begriffe wie Menschenwürde und Privacy kann uns vorwärts bringen, bringt aber auch Gefahren in sich: «Menstruation Hygiene Management» zum Beispiel anerkennt zwar einerseits das besondere Bedürfnis menstruierender Frauen auf Zugang zu Wasser, Hygieneartikel und Privaträumen, kann aber gleichzeitig auch das Stigma von Unreinheit stärken, das mit Menstruationsblut verbunden ist. Stay clean, stay fresh, stay free – heisst Menschenwürde, immer sauber und frisch zu sein? Und welche auch ökonomischen Interessen stehen hinter dem Vertrieb von Hygieneprodukten für menstruierende Frauen? Und überhaupt: wer ist der Mensch der Menschenrechte, die z.B. bereits bei der ersten Programmierung der künstlichen Intelligenz einzubeziehen wären? Gerade im Bereich der neuen Technologien ist ein aufmerksamer Genderblick vermehrt gefordert.

Bedenkenswert erscheint uns auch das Konzept von «Elternschaft» mit Bezug auf Still- und Fehlgeburten und im Zusammenhang mit der Vorgeburtsdiagnostik, d.h. das «Vorverlegen» von Mutterschaft und Elternschaft auf die Schwangerschaft - am besten wohl gleich ab dem Zeitpunkt der Zeugung? Eine vermehrte Teilnahme und Fürsorge der Erzeuger und werdenden Väter mag begrüssenswert sein. «Elternschaft» mit Bezug auf das ungeborene Leben bedeutet aber auch, dass der Frauenleib zum öffentlichen Ort geworden ist, was sehr gut reflektiert werden will.

Dies sind nur einige Rosinen aus den umfangreichen Beiträgen und Diskussionen, die in zwei intensiven Tagen entstanden. Eigentlich schade, dass nicht alle Redner*innen währen der gesamten Konferenz anwesend waren – uns sind wie bei den Exposomen und wie Margrit Bigler-Eggenberger es lebte, Zusammenhänge und Gefüge, Interdisziplinarität, wichtig. Wir wollen die Personen sehen und mit der Welt verbinden – daran werden wir weiterarbeiten.
 

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Isabella Tanner (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel