Newsletter FRI 2021*4 - Editorial

Liebe Leser*innen

Gleichstellung: Zwei Jubiläen und zukunftsgerichtete Diskussionen

50 Jahre politische Rechte für Schweizerinnen
Bereits im Jahre 2019 nahm das FRI das diesjährige Jubiläum der politischen Rechte der Schweizerinnen vorweg. Das FRI beauftragte damals Prof. Brigitte Studer (Historikerin) und Prof. Judith Wyttenbach (Juristin) mit der Durchführung einer interdisziplinären, historisch-juristischen Studie zur Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz, deren Ergebnisse anlässlich des alle zwei Jahre stattfindenden Kolloquiums im Jahr 2021 vorgestellt werden konnten. Getreu seinem Willen, das Recht aus einer feministischen, queeren, interdisziplinären und intersektionalen Perspektive zu hinterfragen, hat das FRI im September 2021 zwei Tage der Reflexion und Diskussion zum Thema Frauenstimmrecht und Demo­kratie: Mechanismen eines (Un)Rechts organisiert.

Während zwei Tagen haben Expert*innen aus verschiedenen Forschungsbereichen – Geschichte, Philosophie, Soziologie, Politik und natürlich der Rechtwissenschaft – über den Kontext und die rechtlichen, politischen und sozialen Mechanismen nachgedacht, in denen und durch die sich die während Jahrzehnten dutzende Male sowohl auf kantonaler als auch auf Bundesebene wiederholte Weigerung einer Mehrheit der Schweizer Männer, den Frauen in der Schweiz den Zugang zur Ausübung ihrer politischen Rechte zu gewähren, ausgedrückt hat. Diese Frage ist Teil eines umfassenden Diskurses über die Demokratie und wurde entsprechend breit diskutiert: Es wurden aktuelle Fragen nach dem Vorhandensein oder Fehlen weitergehender politischer Rechte, beispielsweise für Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft oder Minderjährige, erörtert und damit Raum für utopische Modelle sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eröffnet. Das Kolloquium war in vier Halbtage gegliedert, die jeweils von einer hochkarätigen Wissenschaftlerin – Brigitte Studer, Hourya Bentouhami, Elisabeth Holzleithner und Sara Farris –  eröffnet wurden. Deren Vortrag war dann Anlass für drei bis vier Panelist*innen zu diskutieren und diente auch als Diskussionsgrundlage für das Publikum. Das inhaltsreiche und vielseitige Kolloquium wird sicher zu einer schönen Publikation führen.

Der erste Tag des Kolloquiums begann mit einer feierlichen Vernissage des Buches von Brigitte Studer und Judith Wyttenbach mit dem Titel Frauenstimmrecht: Historische und rechtliche Entwicklungen 1848-1971. Mit dieser Publikation wird die vom FRI in Auftrag gegebene Studie einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Das Panel regte interessante Überlegungen von Forscher*innen an, die sich für Legal Gender Studies einsetzen, z.B. von Nula Frei (UNIFR) zur Frage, ob die materielle Rechtsgleichheit nicht vor der formellen Rechtsgleichheit gedacht werden müsste. Beat Ospelt (UNIBAS) zielte auf die Entwicklung der Frauenrechtsbewegung in Liechtenstein.

Der Nachmittagsvortrag von Hourya Bentouhami bereicherte die Thematik mit einem Blick auf intersektionale Verhältnisse. Dem Vortrag folgten z.B. Überlegungen von Manuela Hugentobler (UNIBE) zu Barrieren für die politische Partizipation. Den Abschluss des ersten Tages bildete die Gruppe Baronnes Underground, die ein musikalisches Werk zum Thema Schweizer Frauenstimmrecht geschrieben haben; umrandet von einem Aperitif.

Der zweite Tag begann mit einem wichtigen Vortrag von Elisabeth Holzleithner über die Verwirklichung der Gleichheit und Anerkennung aller Identitäten und persönlichen Lebensweisen. Die Podiumsdiskussion beinhaltete grundlegende Überlegungen von Andrea Schnyder (UNIBAS) über epistemische Ungerechtigkeit und von Nicole Nickerson (UZH), über die Ausschlussmechanismen in unseren Institutionen, sowie von Zoe Tongue (Durham University), welche das Menschenrecht auf Abtreibung erkundete.

Der Nachmittag war Sara Farris gewidmet, die den Femonationalismus in den aktuellen Kontext der Frauen in Afghanistan stellte, und den Forscherinnen, die verschiedene kritische Ansätze und aktivistische Wege vorstellten: zur Fruchtbarmachung der Intersektionalität in der Einbürgerungspraxis (Barbara von Rütte, UNIBAS), zur postkolonialen Kritik (Rumasai Charumbira, Walter Benjamin College), zur Mehrfachdiskriminierung (Meret Lüdi, UNIBE) und last but not least, zu den politischen Rechten von Jugendlichen (Nadine Aebischer).

Zum Abschluss bot das FRI denjenigen, die es wünschten, an, diese zwei Tage intensiver Diskussionen und Reflexionen mit einer Führung durch die Gosteli-Stiftung – Archiv zur Geschichte der Frauen­bewegung in der Schweiz – in Bern abzuschliessen und von gewissen Originaldokumenten Kenntnis zu nehmen.

25 Jahre Gleichstellungsgesetz
Gemeinsam mit den Juristinnen Schweiz und der NGO-Koordination Post Beijing organisierte das FRI die Veranstaltung 25 Jahre GlG! Wo stehen wir?. In einem ersten Teil konnten die Teilnehmer*innen einen Workshop wählen, in dem sie eine spezifische Problematik im Zusammenhang mit der Gleichstellung in der Berufswelt diskutieren konnten; beispielsweise zu den Zielen und der Interpretation des GlG durch seine programmatischen Artikel, den Herausforderungen des GlG für eine Anwältin in ihrer praktischen Tätigkeit oder den Herausforderungen des GlG im Zusammenhang mit der Armut von Frauen. Nach einem exquisiten festlichen Aperitif trafen sich einige der Personen, die einen Workshop geleitet hatten – Sandra Hotz, Claudia Kaufmann, Karine Lempen und Christine Sattiva-Spring – zu einem Panel, das reich an Diskussion und zukunftsgerichteten Überlegungen war, sowie zu einem qualitativ hochwertigen Austausch mit dem Publikum.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Meret Lüdi (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel