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FRI Newsletter 2018#4 – Editorial

Liebe Leser*innen

Die Öffnung der «Ehe für alle» bedeutet längst nicht, dass alle die Ehe befürworten müssen. In einem liberalen Staat sollten aber alle handlungsfähigen Personen selbst entscheiden können, ob sie eine Ehe eingehen wollen oder nicht. Im Sommer 2018 hat sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats relativ knapp dafür ausgesprochen, die Gesetzesrevision für die Öffnung des Rechtsinstituts Ehe nicht in einer einmaligen Revision, sondern in zwei (oder mehr) Etappen anzugehen (Medienmitteilung vom 6. Juli 2018).

Grundlage des Entscheids war die Auslegeordnung zu den Aus­wirkungen der Parlamentarischen Initiative «Ehe für alle» durch das Bundesamt für Justiz vom März 2018. Das Papier skizziert im Wesentlichen zwei Wege für die Revision: Die erste Variante schlägt ein Gesamtkonzept zu Ehe, zum Abstammungs- und Fortpflanzungsmedizinrecht, zur Hinterlassenenrente usw. vor. Diese Variante hätte jedoch eine Verfassungsänderung nebst diversen Gesetzesänderungen zur Folge. Als Alternative wird ein mehrstufiges Verfahren präsentiert. In einem ersten Schritt, der sog. Kernvorlage, würden insbesondere das Zivilgesetzbuch, die Zivilstandsverordnung und das Bürgerrechtsgesetz revidiert. So soll die Ehe geöffnet und alle Verheirateten zur Adoption zugelassen, jedoch verheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin oder zur Hinterlassenenrente erst in einem zweiten Schritt ermöglicht werden. Ob sich eine sinnvolle Revision des Eherechts inhaltlich von der zentralen Kinderfrage und damit auch dem Abstammungs- und dem Fortpflanzungsmedizinrecht trennen lässt, darf indes angezweifelt werden: 1.) Gerade weil das schweizerische Abstammungsrecht (noch) statusabhängig konzipiert ist, muss es bei einer Öffnung der Ehe konsequent mitgedacht werden. Es müssten deshalb de lege ferenda nicht nur alle Ehepaare zur gemeinsamen Adoption zugelassen werden, sondern jeder (zweite) Elternteil in der Ehe müsste dann auch vermutungsgemäss rechtlicher Elternteil sein (wie der Ehemann nach Art. 252 Abs. 2 ZGB). Um Unverheiratete dann nicht zu diskriminieren, müssten alle Elternteile auch ausserhalb der Ehe ein Kind anerkennen dürfen (wie ein Vater heute nach Art. 260 ZGB, ohne Referenz auf genetische Elternschaft). Nur schon die Diskussion gleichgeschlechtliche gleich wie ungleichgeschlechtliche Ehepaare zur Fortpflanzungsmedizin zugelassen werden sollen, bringt uns in diskriminierende Gefilde. – Die Frage, ob die Zulassung ersterer einer Verfassungsänderung bedürfe, wird in der Lehre nicht einheitlich beantwortet (bspw. BSK-Belser/Molinari, 2015, Art. 119 BV N 30 vs. St. Galler Kommentar- Reusser/Schweizer, 2013, Art. 119 BV N 34). – Diese Frage müsste also zuerst geklärt sein bevor eine Parlamentarierin oder ein Parlamentarier sinnvoll über eine Strategie entscheiden kann. Dass es mehrere Stellen aus unter­schiedlichen Botschaftstexten gibt, die mit dem Begriff «Unfruchtbarkeit» nur heterosexuelle Ehepaare in Verbindung bringen, sei unbestritten, doch ist und bleibt die historische Auslegung immer nur eine von verschiedenen zu berücksichtigenden Auslegungsmethoden. 3.) Für eine globale Revision spricht ausserdem ein rechtspolitisches Argument: Ist es Aufgabe der Bundesverwaltung, im Namen der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates, welche die Legislative repräsentiert, einen politisch möglichst konsensfähigen Vorschlag zu lancieren? Ein politischer Kompromiss mag als Resultat einer heterogenen Legislative angehen, aber die Aufgabe der Regierung, das Ehe- und Familienrecht überzeugend ins 21. Jahrhundert zu führen, wird damit nicht erfüllt. Die Öffnung der Ehe ist nicht nur ein politischer Meilenstein, sondern auch ein rechtlicher Dominostein, der nach einem sorgfältigen Gesamtkonzept verlangt. Es könnte daher gewinn­bringend sein, sich zuerst auf gewisse Leitziele der anstehenden Revision zu einigen. Diese könnten etwa lauten: Die Revision will a.) möglichst diskriminierungsfrei sein; b.) die individuelle Selbstbestimmung stärken; c.) das Kindeswohl beachten und d.) dabei für Rechtssicherheit sorgen.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Romina Loliva (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel