FRI 20 Jahre Newsletter

FRI Newsletter 2018#3 – Editorial

Liebe Leser*innen

In der Schweiz werden heute alle Kinder kurz nach ihrer Geburt im Personenstandsregister als männlich oder weiblich eingetragen – ein auf den ersten Blick banal erscheinender administrativer Vorgang. Für Menschen mit einer Besonderheit der Geschlechtsentwicklung («Intersex» oder «Disorders of Sex Development») und für Transmenschen ist der Eintrag alles andere als banal.

Sie können in die Lage geraten, dass der Geschlechtseintrag im staatlichen Register und damit auch in den amtlichen Ausweisen nicht mit der gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmt. Dies stellt nicht zuletzt einen Stressfaktor im Alltag der betroffenen Personen dar, die sich jedes Mal beim Angeben des amtlichen Geschlechts (gegenüber dem Arbeitgeber, der Bank, bei der Ausweiskontrolle etc.) als inter- oder transgeschlechtlich «zwangsouten» müssen. 

Es ist deshalb zu begrüssen, dass der Bundesrat in einem jetzt zur Vernehmlassung aufliegenden Vorentwurf vorschlägt, dass der Eintrag von Geschlecht und Vornamen neu mittels einfacher Erklärung gegenüber der Zivilstandsbeamtin geändert werden können soll.

Vorentwurf und Begleitbericht bleiben allerdings in verschiedener Hinsicht hinter der europäischen Entwicklung zurück. So stellen zahlreiche europäische Länder heute einzig auf die Selbsterklärung ab (siehe z.B. die neue belgische Gesetzgebung, erläutert in unserem Newsletter 2017#2 wie auch Dänemark, Malta, Norwegen oder Irland). Der Schweizer Bundesrat nennt hingegen – mit Hinweis auf die Gefahr missbräuchlicher oder leichtsinniger Erklärungen – die Kompetenz der Zivilstandsbeamtin, bei Zweifeln zusätzliche Abklärungen vorzunehmen und beispielweise ein ärztliches Zeugnis zu verlangen (S. 12 des Begleitberichts). Diese Auslegung relativiert die Zusicherung des Bundesrats stark, dass eine Geschlechtsänderung neu selbstbestimmt und ohne Voraussetzungen möglich sein soll und führt die Pathologisierung der Transidentität fort. Auch geht der Trend in Europa dahin, Kindern bereits ab einem jungen Alter (bspw. in Norwegen ab 6 Jahren) das Recht zuzugestehen, selbst eine Erklärung über die Geschlechtsänderung abzugeben. Der Schweizer Vorentwurf gibt hingegen nur urteilsfähigen Minderjähren dieses Recht, und stellt darüber hinaus das Erfordernis der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bis zum 18. Geburtstag auf, das nach der bisherigen kantonalen Rechtspraxis nicht besteht.

Verschiedene europäische Länder stellen zudem für Menschen, die sich weder der weiblichen noch der männlichen Geschlechtskategorie zuordnen können und wollen, eine dritte Option zur Verfügung, die für alle Geschlechtsidentitäten offen steht (siehe niederländisches Urteil in diesem Newsletter sowie die 2007 in Nepal und 2014 in Indien ergangenen Urteile). Die Entscheidung über diese Frage will der Bundesrat im Hinblick auf die hängigen Postulate Arslan (17.4121) und Ruiz (17.4185) dem Parlament überlassen. Schliesslich lehnt der Bundesrat die letztlich überzeugendste Lösung ab: den von den Legal Gender Studies angeregten und u.a. vom Deutschen Ethikrat und dem deutschen Bundesverfassungsgericht in Erwägung gezogenen vollständigen Verzicht auf den Geschlechtseintrag in den Personenstandsregistern für alle Menschen.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Romina Loliva (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel