Parlamentarische Vorstösse zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt

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Gender Law Newsletter FRI 2025#4, 01.12.2025 - Newsletter abonnieren

SUISSE: MOTION, POSTULATE UND INTERPELLATIONEN AUF BUNDESEBENE 

Motion 25.4224 (mit Stellungnahme des Bundesrats vom 12. November 2025) und Postulat 25.4226 (mit Stellungnahme des Bundesrats vom 12. November 2025) eingereicht von Jessica Jaccoud am 25. September 2025 im Nationalrat
Postulat 25.3784 eingereicht von Martine Docourt am 19. Juni 2025 im Nationalrat und Stellungnahme des Bundesrates vom 27. August 2025
Interpellation 25.3864 eingereicht von Jean Tschopp am 20. Juni 2025 im Nationalrat und Stellungnahme des Bundesrats vom 13. August 2025
Interpellation 25.3970 eingereicht von Jacqueline de Quattro am 9. September 2025 im Nationalrat und Stellungnahme des Bundesrats vom 12. November 2025
Interpellation 25.4205 eingereicht von Léonore Porchet am 25. September 2025 im Nationalrat

Mehrere parlamentarische Vorstösse befassen sich mit der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz, im Nahraum und in der Migration – Auch hier zeigt sich, dass zwar viele Studien und Empfehlungen vorliegen, es aber bei der Umsetzung und Finanzierung hapert.

I. Belästigungen am Arbeitsplatz

Bezugnehmend auf eine im Dezember 2024 veröffentlichte Studie zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, wonach eine grosse Zahl von Opfern einige ihrer Rechte und Pflichten des Arbeitgebers nicht kennen, beantragt Martine Docourt mit Postulat 25.3784 «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Eine unabhängige und neutrale Anlaufstelle für Opfer» im Nationalrat, der Bundesrat solle in Absprache mit den Sozialpartnern «prüfen, ob ein unabhängiger nationaler Dienst wie z. B. eine Telefonhotline oder eine Online-Plattform zur Betreuung von Opfern von Belästigung am Arbeitsplatz eingerichtet werden kann».
Der Bundesrat ist aber der Auffassung, dass angesichts der bereits bestehenden Hilfsangebote (kantonale Schlichtungsstellen, Arbeitsinspektorate, Webseiten des EBG und der SECO), die Schaffung einer unabhängigen und neutralen Stelle für Opferhilfe nicht erforderlich ist.

II. Frauen in der Migration

Nationalrat Jean Tschopp fragte den Bundesrat mit Interpellation 25.3864 vom 20. Juni 2025, «welchen Status [...] Migrierende haben [sollen], die Opfer geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt geworden sind» und was die Schweiz tut, um bei begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Istanbul-Konvention Opfern von häuslicher Gewalt den Flüchtlingsstatus zu gewähren.
In seiner Stellungnahme führt der Bundesrat aus, dass keine detaillierten Daten nach Asylgründen erhoben werden. Prozentual bewegt sich der Anteil der Frauen, denen wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung Asyl oder vorläufige Aufnahme gewährt wurde, in den letzten 10 Jahren zwischen 13 und 61.4%. Im übrigen werde alles darangesetzt, um sicherzustellen, dass frauenspezifische Asylgründe zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, wenn alle asylrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Mit Motion 25.4224 vom 25. September 2025 «Geschlechtsspezifische Gewalt. Kein Opfer ohne Gerechtigkeit, kein Täter ohne Verurteilung» beantragt Jessica Jaccoud eine Änderung des geltenden Rechts dahingehend, dass Frauen, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sind und sich rechtswidrig in der Schweiz aufhalten, eine Strafanzeige einreichen oder sich an die Strafbehörden wenden können, ohne dass diese verpflichtet sind, den Straftatbestand des illegalen Aufenthalts zur Anzeige zu bringen. Sie nimmt dabei Bezug auf einen Bericht des Bundesrats vom Dezember 2020 «Gesamthafte Prüfung der Problematik der Sans-Papiers» in Erfüllung des Postulats 18.3381 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vom 12. April 2018.
Der Bundesrat beantragt die Annahme der Motion.

III. Häusliche Gewalt und Femizide

Das Postulat 25.4226 von Jessica Jaccoud im Nationalrat widmet sich dem Thema der «Berücksichtigung von Gewalt in der elterlichen Paarbeziehung bei Entscheidungen über die Elternrechte». Es soll insbesondere geprüft werden, ob es eine Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen braucht, um Artikel 31 der Istanbul-Konvention umzusetzen. Sie nimmt dabei Bezug auf die Studie «Unterstützungsangebote und Schutzmassnahmen für Kinder, die Gewalt in der elterlichen Paarbeziehung ausgesetzt sind», die im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann durchgeführt wurde, wonach die KESB und die Zivilgerichte in den Trennungs-, Scheidungs- und Eheschutzverfahren nur wenig berücksichtigen, wenn Kinder Gewalt in der elterlichen Paarbeziehung ausgesetzt sind.
Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulats.

Mit Interpellation 25.3970 vom 9. September 2025 fragt Nationalrätin Jacqueline De Quattro den Bundesrat, worauf denn der Bundesrat noch warte – sie bezieht sich dabei auf die im laufenden Jahr bisher 23 Frauen, die durch ihre Ehemänner oder Partner ums Leben gebracht wurden. Sie verweist darin unter anderem auf das spanische Modell, dass gezeigt habe, «dass entschlossenes und umsichtiges Handeln möglich ist». Sie will wissen, wann die parlamentarische initiative «Wer schlägt, geht!» endlich in die Gesetzgebung aufgenommen wird und wie es um die Notrufnummer für Opfer häuslicher Gewalt und die elektronische Überwachung mittels elektronischer Fussfesseln steht.
In seiner Stellungnahme vom 12. November 2025 erklärt der Bundesrat, dass die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates auf die für 2026 vorgesehene Bilanz zur Roadmap von Bund und Kantonen zur häuslichen Gewalt wartet, um sich zur Umsetzung der beiden gleichlautenden parlamentarischen Initiativen zu äussern. Zudem wird die neue Kurznummer 142 gemäss dem Bundesrat voraussichtlich am 1. Mai 2026 in Betrieb genommen. Was die elektronische Überwachung angeht, wird der Verein Electronic Monitoring (EM) «den 22 Mitgliedskantonen im November 2025 unterschiedliche Umsetzungsszenarien unterbreiten».

Nationalrätin Léonore Porchet fragt in ihrer Interpellation 25.4205 «Bekämpfung von Femiziden und Gewalt gegen Frauen und Kinder. Gesetze ohne finanzielle Mittel und Fristen?» nach den von Bund und Kantonen zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln und den Fristen bezüglich Umsetzung von Massnahmen zur Bekämpfung von Femiziden und Gewalt gegen Frauen und Kinder, die sie unter anderem auf eine langsame, uneinheitliche und unzureichend finanzierte Umsetzung bestehender Massnahmen zurückführt.

Wir verweisen auf die in diesem Newsletter besprochenen Themen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt: das zweiter Bericht der Schweiz an die Grevio zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, den Bericht der Schweiz zur Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses der Vertragsstaaten (CoP) vom 6. Dezember 2022, das Urteil des Bundesgerichts 2C_173/2024 vom 16. September 2025 sowie diverse parlamentarische Vorstösse zur geschlechtsspezifischen Gewalt, eine parlamentarische Initiative und eine Motion zur nicht automatischen Bekanntgabe der Privatadresse der Opfer an die beschuldigte Person und einen Postulat zur digitalen Gewalt. Vgl. auch das Editorial unseres Newsletters 2025#3.

Direkter Zugang zur Motion 25.4224 (https://www.parlament.ch)
Direkter Zugang zum Postulat 25.3784 (https://www.parlament.ch)
Direkter Zugang zum Postulat 25.4226 (https://www.parlament.ch)
Direkter Zugang zur Interpellation 25.3864 (https://www.parlament.ch)
Direkter Zugang zur Interpellation 25.3970 (https://www.parlament.ch)
Direkter Zugang zur Interpellation 25.4205 (https://www.parlament.ch)
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