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Gender Law Newsletter FRI 2025#4, 01.12.2025 - Newsletter abonnieren

SCHWEIZ: BERICHT ÜBER DIE UMSETZUNG DER ISTANBUL-KONVENTION

Bericht der Schweiz vom 26. September 2025 zur Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses der Vertragsstaaten (CoP) vom 6. Dezember 2022

Konkrete Massnahmen scheitern an fehlenden finanziellen und personellen Mitteln, sind je nach Kanton unterschiedlich und faktische Hilfe liegt oft auf den Schultern der NGO’s. Immerhin berichtet der Bundesrat von vielen Analysen und vorgesehenen oder bereits veröffentlichten Berichten zu verschiedenen der Empfehlungen von GREVIO (Expertinnen- und Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt), unter anderem mit Bezug auf die Notwendigkeit, das Angebot von Not- und Schutzunterkünften zu erweitern sowie auf ein vorgesehenes Mustergesetz zum rechtlichen Rahmen bei häuslicher Gewalt.

Gemäss Art. 68 Abs. 12 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) spricht der Ausschuss der Vertragsparteien auf der Grundlage des Evaluationsberichts und der Schlussfolgerungen von GREVIO Empfehlungen an die Vertragsstaaten aus bezüglich der Massnahmen, die diese ergreifen müssen, um die Schlussfolgerungen von GREVIO umzusetzen. Der hier besprochene Bericht nimmt Stellung dazu, was diesbezüglich unternommen wurde:

Zu den einzelnen – zahlreichen – insbesondere Analysen, vorgesehenen Mustergesetzen, Gesetzesänderungen und Massnahmen, finanziellen Mittel, involvierten Akteur*innen verweisen wir auf den Bericht. Nachstehend nur einige Hinweise:

Zur Frage der diskriminierungsfreien Umsetzung der Konvention (Ziffer 1) verweist der Bundesrat unter anderem auf den neuen Bereich im Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) hin, der sich mit der Diskriminierung von LGBTI-Personen befasst. Weiter gibt der Bundesrat mit Bezug zum Opferhilfegesetz zu, dass gemäss dem Rechtsgutachten «zum Diskriminierungsverbot und Geltungsbereich der Istanbul-Konvention», das vom Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR, abgelöst durch die Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI) verfasst wurde, gewisse Einschränkungen im schweizerischen Recht im Bereich von im Ausland erlittenen Straf- oder Gewalttaten in Bezug auf das Diskriminierungsverbot nach Art. 4 Abs. 3 der Istanbul-Konvention, insbesondere das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Migrations- oder Flüchtlingsstatus, ein Problem darstellen.

Zum rechtlichen Rahmen zu häuslicher Gewalt läuft eine Analyse «mit dem Ziel, gestützt darauf Empfehlungen im Sinne eines Mustergesetzes erlassen zu können» (S. 4). Weiter anerkennt der Bundesrat, dass das bestehende Angebot an Not- und Schutzunterkünften für alle Zielgruppen, «aber insbesondere für junge Frauen und Mädchen, Männer, Menschen mit Behinderungen oder mit gesundheitlichen Problemen, ältere Menschen sowie für LGBTQIA+ Personen ausgebaut werden» muss (S. 4). Weiter hat der Bundesrat am 25. Juni 2025 einen Bericht «Gewaltbetroffene Minderjährige und Erwachsene. Bestandesaufnahme und vorrangige Bedürfnisse bezüglich Unterkünften in den Regionen» veröffentlicht.

Bezüglich intersektioneller Diskriminierung (Ziffer 2), werde diese «so weit wie möglich berücksichtigt.» Die Frage Nr. 6, ob besondere Aufmerksamkeit darauf gelegt wurde, die Rechte von gewaltbetroffenen Frauen ins Zentrum aller vorgesehenen Massnahmen zu stellen, wird mit nein beantwortet: «Die Nationale Gesetzgebung ist grundsätzlich geschlechtsneutral ausgestaltet und schützt Frauen, Männer und Kinder vor Gewalt. Auch kantonale Regelungen, die beispielsweise spezifisch den Schutz vor häuslicher Gewalt fokussieren, umfassen Frauen, Männer und Kinder gleichermassen. Vereinzelt gibt es besondere Normen zum Schutz von Frauen vor Gewalt wie beim Verbot von Genitalverstümmelung (Art. 124 StGB; SR 311.0) oder von Zwangsabtreibung (Art. 118 StGB)» (S. 8).

Bezüglich nachhaltiger und langfristiger Finanzierung von nichtstaatlichen Organisationen (Frage 14) weisen wir hin auf die Erläuterungen im Zusammenhang mit der neuen dreistelligen Telefonnummer für die Opferhilfe, die im Mai 2026 aktiviert werden soll: diesbezüglich «sind die Kantone zurzeit daran, bestehende Leistungsvereinbarungen anzupassen oder mit NGOs neue Leistungsvereinbarungen abzuschliessen. Die zentrale Telefonnummer dient Gewaltopfern – das heisst, allen Menschen, die physische, psychische oder sexuelle Gewalt im privaten oder öffentlichen Raum erlebt haben – als kostenlose und rund um die Uhr (24/7) erreichbare Anlaufstelle. Dieser Angebotsausbau der telefonischen Opferberatung wird teils durch die kantonal anerkannten Opferberatungsstellen selbst erbracht (z. B. Erweiterung der Öffnungszeiten), teils durch Kooperation mit Dritten (z. B. Frauenhäuser, Dargebotene Hand) sichergestellt» (S. 13). Mehrfach hingewiesen wird auch auf den am 25. November 2024 lancierten Nationalen Dialog zu Gewalt, Geschlecht und Diskriminierung. Wie wichtig nichtstaatliche Organisationen in der Schweiz sind, ist auch der Antwort zu Frage 16 zu entnehmen: «Seit 2021 konnten Finanzhilfen zur Gewaltprävention für rund 80 Projekte im Umfang von rund 14 Millionen Franken gesprochen werden. Drei Viertel dieser Projekte werden und wurden von NGOs getragen» (S. 14). Ende 2025 sollte dazu ein Evaluationsbericht vorliegen.

Bezüglich Datensammlung (Ziffer 17 f.) lanciert das Bundesamt für Statistik (BFS) «im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention in enger Zusammenarbeit mit dem EBG die erste nationale Studie zur Prävalenz von geschlechtsspezifischer Gewalt. Diese wird voraussichtlich im Jahr 2027 erstmals durchgeführt werden, die Ergebnisse ab 2028 vorliegen» (S. 15). Bisher liegen sektorielle Studien zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung und sexualisierter Gewalt in der Armee sowie zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vor (Ziffer 18).

Unter Ziffern 22 und 23 berichtet der Bundesrat über die Massnahmen und Praxis zum Kontakt nach häuslicher Gewalt, deren Berücksichtigung bei der Festlegung des Besuchs- und Sorgerechts (wobei es noch hapert, Ziffer 22.2.) sowie zur gewaltfreien Erziehung.

Unter Ziffer 25 geht es um die Massnahmen bei der Strafverfolgung, unter Ziffer 29 ff. um Kontakt- und Näherungsverbote oder Schutzanordnungen, wobei kantonale Unterschiede bestehen; bezüglich Genitalverstümmelung, Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung keine Massnahmen ergriffen wurden; und eine Analyse zu den Schutz- und Notunterkünften gezeigt hat, dass das Angebot auszubauen ist und bei den Anschlusslösungen dringender Handlungsbedarf besteht und eine nachhaltige Finanzierung nur teilweise umgesetzt ist (Ziffer 32).

Bezüglich der Empfehlung für eine eigenständige Aufenthaltsbewilligung gewaltbetroffener Migrantinnen, deren Aufenthaltsstatus von jenem des Ehemanns abhängt (Empfehlung A.16, IC-CP/Inf(2022)11) (Ziffer 33) weist der Bericht insbesondere auf die Änderung von Art. 50 AIG hin, die am 1. Januar 2025 in Kraft getreten ist, auf die geänderten Weisungen AIG sowie auf ein wegen fehlender personeller und finanzieller Ressourcen nur teilweise bewilligtes Projekt des SEM über die Unterbringung von Personen mit besonderen Bedürfnissen in den Bundesasylzentren (BAZ), das nicht nur die Unterbringung, sondern auch die Aufnahme, die Ermittlung und die Betreuung dieser Personen hätte regeln sollen.

Anmerkung der Redaktion
Wir verweisen auf die in diesem Newsletter besprochenen Themen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt: das zweiter Bericht der Schweiz an die Grevio zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, das Urteil des Bundesgerichts 2C_173/2024 vom 16. September 2025 sowie diverse parlamentarische Vorstösse zur geschlechtsspezifischen Gewalt, eine parlamentarische Initiative und eine Motion zur nicht automatischen Bekanntgabe der Privatadresse der Opfer an die beschuldigte Person und einen Postulat zur digitalen Gewalt.
Zum Thema Mehrfach- und Intersektionelle Diskriminierung hat die nationale Menschenrechtsinstitution am 18. Oktober 2025 eine Veranstaltung moderiert von Lucien Schönnenberg im Rahmen des Film Festivals diritti umani in Lugano durchgeführt (festivaldirittiumani.ch).

Direkter Zugang zum Bericht (https://cms.news.admin.ch). Darin sind auch die erwähnten und weitere publizierte Dokumente verlinkt.