Genugtuung für Opfer von Menschenhandel
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Gender Law Newsletter FRI 2025#4, 01.12.2025 - Newsletter abonnieren
SCHWEIZ: INTERPELLATION AUF BUNDESEBENE
Interpellation 25.4204 «Genugtuung für Opfer von Menschenhandel», eingereicht von Priska Seiler Graf am 25. September 2025 im Nationalrat, und Stellungnahme des Bundesrats vom 19. November 2025
Die Autorin der Interpellation hat mehrere Kritiken über die Bemessung und die Dauer der Zahlung der Genugtuung für die Opfer von Menschenhandel geäussert und dem Bundesrat mehrere Fragen zum Thema gestellt.
Unter Verweis auf den dritten Bericht des Expertengruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels (Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings: GRETA) von 2024 zur Evaluation der Schweiz wirft die Interpellantin dem System der Genugtuung der Opfer von Menschenhandel die folgenden Mängel vor: 1.) die Seltenheit der Erhaltung der Genugtuung; 2.) die Niedrigkeit des erhaltenen Betrags; 3.) die Senkung des zivilrechtlich erhaltenen Betrags im opferhilferechtlichen Verfahren; 4.) die Kaufkraftanpassung bei Aufenthalt des Opfers ausserhalb der Schweiz; 5.) eine kleine Anzahl von Anfechtungen der erstinstanzlichen Entscheide, «weil die Opfer das Kostenrisiko des weitergeführten Prozesses tragen müssten, falls die Staatsanwaltschaft nicht mitzieht, was meist der Fall ist»; 6.) eine sehr lange Dauer vom rechtskräftigen Urteil bis zur Genugtuungszahlung; und 7.) eine häufig lange Dauer des Strafverfahrens in Menschenhandelsfällen, mit hohen staatliche Kosten.
Sie stellt somit dem Bundesrat die folgenden Fragen:
1.) «In wie vielen Strafverfahren wegen Menschenhandel in der Schweiz der letzten 10 Jahre:
- hat die Täterschaft das erstinstanzliche Urteil weitergezogen? In wie vielen das Opfer?
- hat das Opfer eine Genugtuung erhalten, in wie vielen nicht?»
Antwort des Bundesrats: Heutzutage bestehe kein gesamtschweizerisches Datenbild, aber künftig werden die relevanten strafrechtlichen Urteile summarisch ausgewertet werden (vgl. nationale Aktionsplan (NAP) gegen Menschenhandel 2023–2027, S. 19).
2.) «Falls Genugtuung bezahlt wurde: Wie hoch waren die einzelnen, ausbezahlten Beträge? In welchem Verhältnis standen die vom Gericht gesprochenen Beträge zu jenen, die effektiv ausbezahlt wurden? Um wie viel Prozent wurden die Beträge auf Grund von Kaufkraftanpassungen bei Aufenthalt ausserhalb der Schweiz gekürzt?»
Antwort des Bundesrats: «Die im NAP vorgesehene Auswertung wird auch Aussagen über die Höhe von der Strafjustiz zugesprochener und letztlich von der Täterschaft bezahlter zivilrechtlicher Genugtuungssummen erlauben. [...] Lag mindestens eine Straftat des Menschenhandels vor, so belief sich die Gesamtsumme der zugesprochenen Genugtuung gemäss Bundesamt für Statistik zwischen 2010 und 2024 auf 995'943 Franken. [...] In einzelnen Fällen betrug die Herabsetzung 40 Prozent (Wohnsitz in Rumänien), vereinzelt wurde aber auch auf eine Reduktion verzichtet (Wohnsitz in Thailand). Das Bundesgericht verlangt, dass Reduktionen der Genugtuung nach [dem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG)] wegen Auslandwohnsitz massvoll sein müssen: Bei Wohnsitz in Portugal kommt eine Herabsetzung beispielsweise nicht in Betracht, bei Wohnsitz in Polen darf sie höchstens 20 Prozent betragen (Urteil des Bundesgerichts 1C_102/2024 vom 18. November 2024).»
3.) «Wie lange dauerte es im Durchschnitt vom Entscheid des Gerichts zur Höhe der Genugtuung bis zur Auszahlung?»
Antwort des Bundesrats:
- Zur zivilrechtlichen Genugtuung bestehe keine gesamtschweizerische Statistik.
- Bei der opferhilferechtlichen Genugtuung erfolge die Beurteilung innert weniger Monate (z.B. im Kanton Zürich durchschnittlich 2,5 Monate) und «die von der kantonalen Entschädigungsbehörde rechtskräftig zugesprochenen Geldbeträge werden jeweils innert kurzer Zeit ausbezahlt».
4.) «Wie hoch waren die Kosten für den Staat in den letzten 10 Jahren in Strafverfahren wegen Menschenhandel:
- für die Untersuchung, Verteidigung und Verfahrenskosten auf Täterseite?
- für Vertretungs- oder Verfahrenskosten sowie Genugtuung auf Opferseite?»
Antwort des Bundesrats: Es bestehen keine gesamtschweizerischen Daten, aber eine Rechtsvertretung werde im opferhilferechtlichen Genugtuungsverfahren «eher selten beantragt» (im Kanton Zürich: zwei von neun Fällen in den letzten fünf Jahren).
Direkter Zugang zu Interpellation (https://www.parlament.ch)
Zum gleichen Thema, vgl. Motion 24.4638 im Newsletter 2025#1 und Urteil des EGMR vom 28. November 2023 Krachunova gegen Bulgarien im Newsletter 2024#1