Die LGBTIQ+ Equality Strategy 2026-2030 der Europäischen Kommission

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EU: VERÖFFENTLICHUNG EINER STRATEGIE 

Europäische Kommission, Union of Equality. LGBTIQ+ Equality Strategy 2026-2030, COM(2025) 775 final (veröffentlicht am 8. Oktober 2025)

Zum zweiten Mal veröffentlichte die Europäische Kommission (KOM) eine LGBTIQ+ Gleichstellungsstrategie. Dabei handelt es sich um eine nicht-bindende Absichtserklärung politischer Maßnahmen zum Schutz der Rechte queerer Menschen in der EU und darüber hinaus. Der folgende Beitrag stellt die wesentlichen Inhalte vor, ordnet sie in ihren gesellschaftlichen Kontext ein und kommentiert die Vorhaben kritisch.

Inhaltlich gliedert sich die Ausarbeitung in die drei Bereiche protect, empower und engage. Im ersten Kapitel geht es um die Abschaffung schädlicher Praktiken wie beispielsweise sogenannter Konversionstherapien, die die queere Identität als Krankheit begreifen, die geheilt werden kann (und muss). Weiterhin weist die KOM daraufhin, dass in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor Verletzungen der körperlichen Autonomie durch Eingriffe bei intersex-Kindern und diskriminierende Praktiken zur behördlichen Anerkennung der eigenen gender-Identität gelten. Um diese schädlichen Praktiken zu bekämpfen will die EU eine Studie zu den Auswirkungen auf die Betroffenen veröffentlichen sowie in den Dialog mit den Mitgliedstaaten treten.

Die Strategie erkennt außerdem an, dass der digitale Raum häufig Schauplatz von Hassrede und Diskriminierung ist und dass sich dieser digitale Hass auch in ein begünstigendes Klima für Beleidigungen und Gewalt im echten Leben übersetzt. Zum Schutz davor sollen überwiegend bereits bestehende Rechtsakte durchgesetzt und deren Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und Plattformbetreiber überwacht werden. Schließlich wird auch der besondere Schutzbedarf von queeren Geflüchteten bzw. people on the move festgehalten. Hier will die KOM Synergien mit anderen Strategien und Aktionsplänen erreichen. Etwas makaber endet der Abschnitt damit, dass hierfür u.a. mit FRONTEX zusammengearbeitet werden soll, um besondere Verletzlichkeiten von queeren Schutzsuchenden früh zu identifizieren und Unterstützung zu leisten. Die Grenzschutzagentur FRONTEX ist jedoch im Schutz von Menschenrechten kein glaubwürdiger Partner, werden doch immer wieder systematische Rechtsbrüche durch Zurückweisungen an der Grenze bekannt, die nicht selten zu lebensgefährlichen Situationen führen. Dass sich an dieser menschenverachtenden Praxis durch eine Regenbogenflagge etwas ändert, ist zu bezweifeln.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit verschiedenen Diskriminierungsformen im alltäglichen Leben, wie im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Arbeitswelt und der fehlenden EU-weiten Anerkennung von queeren Partner*innenschaften und Elternschaft. Die KOM hatte den Vorschlag für eine Richtlinie zur Gleichbehandlung (equal treatment directive, COM(2008) 426 final 2008/0140 (CNS)) nach 17 Jahren Stagnation Anfang des Jahres zurückgezogen. Dabei gehörte Deutschland zu den Mitgliedstaaten, die jahrelang eine Blockadehaltung einnahmen. Nun will die Kommission ausweislich der Gleichstellungsstrategie „weiterhin daran arbeiten, die notwendige Einstimmigkeit zur Verabschiedung der Richtlinie zu erreichen“. Die vorgeschlagene Richtlinie hat das Potenzial, Lücken im Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung zu schließen. Dass die Richtlinie wieder auf der politischen Agenda steht, ist unter anderem dem Druck der Zivilgesellschaft zu verdanken.

In ihrem dritten und letzten Abschnitt formuliert die KOM kein geringeres Ziel, als die uneingeschränkte Ausübung der Menschenrechte für alle Menschen in der EU und weltweit zu gewährleisten. Hierfür ruft sie die Mitgliedstaaten dazu auf, bis 2027 umfassende Aktionspläne zum Thema LGBTIQ+-Rechte zu erstellen und umzusetzen. Besonders wichtig ist das Versprechen, NGOs, die sich für die Rechte queerer Menschen engagieren, finanziell zu unterstützen und zu vernetzen. Hierfür sollen im neuen mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028, dem „Haushalt“ der EU, 3,6 Milliarden EUR für das CERV-Programm bereitgestellt werden, das NGOs unterstützt. Bisher betrug dessen Budget 1,44 Milliarden EUR, der Vorschlag der KOM würde also fast eine Verdoppelung bedeuten. Zudem sollen die Rechte queerer Menschen auch in den Beitrittsverhandlungen und im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik verteidigt werden. Dass sie es ernst meint, kann die EU direkt im Hinblick auf die geplante Justizreform in der Türkei beweisen. Diese will queere Identitäten und die Selbstbestimmung von Frauen strafrechtlich einschränken und sanktionieren (vgl. Blogbeitrag hierzu in englischer Sprache).

In Zeiten, in denen Queerfeindlichkeit als verbindende menschenfeindliche Ideologie auch in der EU auf dem Vormarsch ist, sind Strategien wie die der EU KOM ein wichtiges Symbol. Fraglich ist, inwiefern die vorgelegte Strategie auch über bloße Symbolpolitik hinausgeht und spürbar die Situation von queeren Menschen und Organisationen verbessern kann. In der Einleitung konstatiert die Kommission „erhebliche Verbesserungen“ seit der letzten Gleichstellungsstrategie. So habe sich die soziale Akzeptanz von queeren Menschen in der EU in den letzten Jahren verbessert. Im nächsten Absatz weist die KOM richtigerweise darauf hin, dass es nach wie vor Herausforderungen gebe. Queere Menschen, darunter insbesondere trans*-Frauen sind nach wie vor Diskriminierung und Angriffen ausgesetzt. Auch NGOs die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen stehen zunehmend unter Druck. Als deutsches Beispiel kann die teils militante Organisierung gegen CSDs, gerade im ländlichen Raum in Deutschland dienen. Die Antonio-Amadeu-Stiftung hat für das Jahr 2025 insgesamt 111 Störungen von CSDs in Deutschland dokumentiert, die meisten dieser Störungen gingen dabei von organisierten rechtsextremen Gruppen und Parteien aus. Aber auch darüber hinaus ist die Frauen- und Queerfeindlichkeit ein verbindendes ideologisches Element rechtsextremer, evangelikaler und konservativer Strömungen.

Ob die Strategie zu spürbaren Verbesserungen führt, hängt einerseits davon ab, wie deutlich die EU queere Rechte tatsächlich verteidigt, und andererseits davon, ob diese in den auswärtigen Beziehungen anderen (wirtschaftlichen und geopolitischen) Interessen untergeordnet werden. Die Rechte queerer Menschen sollten nicht nur als Gleichheits- und damit als Nischenthema betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich dabei um ein maßgebliches Einfallstor für die Destabilisierung der Demokratie und der lebendigen Zivilgesellschaft. Die EU sollte diese Bedrohung daher ernst nehmen. Insbesondere müssen bestehende Sanktionsmöglichkeiten konsequent genutzt werden, um die Werte glaubhaft und mit konkreten Maßnahmen durchzusetzen. Als Hüterin der Verträge kommt für die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258, 260 AEUV in Betracht, um EU-Rechtsbrüchen, wie beispielsweise dem Verbot von Pride-Demos in Ungarn, zu begegnen. Der Erfolg hängt jedoch auch maßgeblich von der Umsetzung der Vorschläge durch die Mitgliedstaaten ab. Die Strategie selbst enthält keine eigenen konkreten Gesetzesvorschläge. Es ist jedoch endlich an der Zeit, den Richtlinienvorschlag zur Gleichbehandlung von 2008 zu verabschieden.

Direkter Zugang zur Strategie (https://commission.europa.eu)