Familienergänzende Kinderbetreuung und Berechnung des für AHV-Beiträge massgebenden Lohnes

SCHWEIZ: MOTION AUF BUNDESEBENE

Motion 18.3994
Eingereicht im Nationalrat von Benjamin Roduit am 28. September 2018 und vom Bundesrat am 30. November 2018 beantwortet.

Der Bundesrat sei zu beauftragen, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, die vorsehen, dass die Verpflegungskosten am Arbeitsort in die Berechnung des massgebenden Lohnes einfliessen, wenn das Essen in einer Kinderbetreuungseinrichtung zusammen mit den Kindern eingenommen wird und der Arbeitgeber dies verlangt. Arbeitgeber von Kindertagesstätten verlangen – z.T. gestützt auf kantonale Weisungen – oft von ihren Angestellten, dass sie zusammen mit den Kindern essen, die sie betreuen. Das Bundesamt für Justiz untermauert die Wichtigkeit dieser erzieherischen Schlüsselmomente und fordert, dass ausreichend pädagogische Fachkräfte diese Zeiten (Mittagessen, Aufstehen, Schlafengehen usw.) begleiten. Gemäss AHV-Gesetzgebung gehören regelmässige Entschädigungen für die übliche Verpflegung am gewöhnlichen Arbeitsort zum massgebenden beitragspflichtigen Lohn. Gewährt der Arbeitgeber die Mittagsverpflegung, wird von einem Ansatz von 10 Franken pro Mahlzeit ausgegangen (vgl. Art. 9 und 11 der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, AHVV; SR 831.10). In seiner Antwort vom 30. November 2018 führt der Bundesrat aus, in Bezug auf den Begriff des massgebenden Einkommens müsse zwischen dem Arbeitsrecht und dem Sozialversicherungsrecht unterschieden werden. Im Arbeitsrecht gilt die mit den Kindern verbrachte Essenszeit als effektive Arbeitszeit und nicht als Pause. Durch die Anrechnung von gratis abgegebenen Mahlzeiten an das massgebende Einkommen werde der wirtschaftliche Wert der Mahlzeiten berücksichtigt, für die die Angestellten nicht selbst aufkommen müssen und für die ihnen somit keine Kosten entstehen (vgl. Anfrage Fässler Hildegard 10.1116, «Mittagessen in der Kita. Naturallohn?»). Allenfalls könne der Arbeitgeber den Teil der mit dieser Leistung verbundenen Beiträge selbst übernehmen. Die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Leistungen, die vom Arbeitgeber gratis erbracht werden, trage ausserdem zum sozialen Schutz bei. Der Bundesrat ist daher der Ansicht, dass es nicht notwendig sei, die Rechtslage durch eine Ausnahmeregelung für die in Kinderbetreuungseinrichtungen tätigen Angestellten zu ändern und beantragt Abweisung der Motion.

Kommentar von Rosemarie Weibel
In seiner Antwort zur Anfrage 10.1116 hatte der Bundesrat noch ausgeführt, die in den Kinderbetreuungseinrichtungen gewährte Verpflegung sei als Naturalleistung nach den in Art. 11 AHVV festgesetzten Ansätzen zu bewerten und als massgebenden Lohn zu behandeln. Entsprechendes gelte für alle Betriebe, in denen die Arbeitnehmenden an ihrem gewöhnlichen Arbeitsort verpflegt werden, also z. B. für Au-pair-Angestellte, für Betreuungspersonen in Wohn- und Altersheimen usw. In seiner Antwort zur vorliegenden Motion wird nun zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht unterschieden:  Arbeitsrechtlich bestimmt Art. 327a Abs. 1 OR, dass Arbeitgebende den Arbeitnehmenden alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen zu ersetzen haben, bei Arbeit an auswärtigen Arbeitsorten auch die für den Unterhalt erforderlichen Aufwendungen (siehe. Art. 327a OR; siehe Streiff/von Kaenel/Rudolph, Praxiskommentar Arbeitsvertrag, 7.A., Zürich 2012, N 2 zu Art. 327a; Danthe Marie-Gisèle in Dunand/Mahon, Commentaire du contrat de travail, Berne 2013, N 6 ad art. 327a CO). M.E. ist daher beim Auslagenersatz für Verpflegung am Arbeitsplatz zu unterscheiden, ob Arbeitnehmende entscheiden dürfen, ob sie ihr selbst mitgebrachtes Essen einnehmen wollen oder ob sie – wie in den Kitas – essen müssen, was der Arbeitgebende ihnen vorsetzt. In letzterem Fall fällt die Verpflegung m.E. unter den Auslagenersatz. Kommt hinzu, dass nach Art. 323b Abs. 3 OR Abreden über die Verwendung des Lohnes im Interesse des Arbeitgebers nichtig sind (Truckverbot), weshalb eine Pflicht der Arbeitnehmenden, die Verpflegung beim Arbeitgebenden zu erwerben, nichtig sein dürfte. Ob es wirklich notwendig ist, dass sozialversicherungsrechtlich etwas anderes gelten soll, wäre m.E. vertieft anzuschauen, und zwar insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Lohnhöhe: Arbeitgebende könnten versucht sein, die Verpflegung als Entschädigung auszugestalten und damit die Höhe des versicherten Lohnes zu reduzieren, was schlussendlich den sozialen Schutz für zahlreiche Angestellte gerade auch im Niedriglohnbereich effektiv weiter beeinträchtigen könnte.
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