Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung wird unter Strafe gestellt

SCHWEIZ: STRAFNORM GEGEN DISKRIMINIERUNG AUFGRUND SEXUELLER ORIENTIERUNG

Strafgesetzbuch und Milita?rstrafgesetz
Änderung vom 14. Dezember 2018, Referendumsfrist: 8. April 2019.

Die parlamentarische Initiative Reynard (siehe Newsletter 2018#4) wurde nun schliesslich auch vom Ständerat angenommen. Strafrechtlichen Schutz soll jedoch nur die sexuelle Orientierung, nicht aber die Geschlechtsidentität geniessen. 

Kommentar von Manuela Hugentobler
Es ist erfreulich, dass die öffentliche Verunglimpfung und Herabwürdigung von nicht-Heterosexuellen gesellschaftlich derartig verpönt ist, dass National- und Ständerat eine Strafbestimmung (analog zur Rassismusstrafnorm) beschliessen. Gleichzeitig ist es erschütternd, dass eine Mehrheit der Parlamentarier*innen, genau wie der Bundesrat, Diskriminierungen aufgrund der Geschlechtsidentität nicht als gleichermassen verwerflich betrachtet wie solche aufgrund der sexuellen Orientierung. Irritierend ist zudem, dass in der Schweiz bisher kaum Anti-Diskriminierungsrecht besteht, das Lesben, Schwule, Bisexuelle, Pansexuelle und queere Personen auch in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen schützen würde und dass weiterhin rechtliche Ungleichbehandlungen existieren: so haben beispielsweise nicht-heterosexuelle Paare im Unterschied zu heterosexuellen, verheirateten Paaren keinen legalen Zugang zu Samenspenden. Dass eine strafrechtliche Regelung beschlossen wurde, ohne ein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz, das gegen strukturelle Machtverhältnisse eingesetzt werden könnte, überhaupt zu diskutieren, erweckt den Eindruck, dass es den Bestrebungen, Diskriminierungen zu beseitigen, an Ernsthaftigkeit mangelt. Unverständlich ist ausserdem, warum Hate-Speech gegen Schwule, nicht aber gegen Frauen*, Menschen mit einer Behinderung oder in anderer Weise von Diskriminierung Betroffene bestraft werden soll. Schliesslich sind strafrechtliche Verschärfungen, die vorgeblich Marginalisierte schützen sollen, generell kritisch zu betrachten. Wie Dean Spade für die USA in «Normal Life: Administrative Violence, Critical Trans Politics, and the Limits of Law» überzeugend ausführt, scheitern solche Strafbestimmungen an der Täter*innen-Perspektive, aus der sie entstehen. Dabei wird verkannt, dass strukturelle Phänomene wie Homophobie nicht individuelles, sondern gesellschaftliches Verschulden sind und eine strafrechtliche Verfolgung von Einzeltäter*innen dieses schädliche Narrativ perpetuiert und einen Kampf gegen diskriminierende Verhältnisse unterminiert. Neue Strafbestimmungen stärken darüber hinaus eine Strafjustiz, die selbst homo- und insbesondere transphob strukturiert ist. Entsprechend ist zweifelhaft, ob diese neue Strafbestimmung tatsächlich eine Verbesserung bedeutet oder ob sie nicht bloss dazu dient, weitergehende Forderungen nach Gerechtigkeit zu unterbinden
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