Kein Anspruch auf Betriebszulagen zusätzlich zur Mutterschaftsentschädigung

SCHWEIZ: MUTTERSCHAFTSENTSCHÄDIGUNG

Bundesgericht, 22. Juni 2020 (9C_737/2019)

Selbständig erwerbende Frauen haben bei Mutterschaft keinen Anspruch auf Betriebszulagen. Eine solche ist nur für selbständig erwerbende Dienstleistende vorgesehen. Jedoch sind entsprechende gesetzgeberische Anpassungen hängig.
Gemäss Art. 8 Erwerbsersatzgesetz (EOG) haben Dienstleistende, die als selbständig Erwerbende einen Betrieb führen, zusätzlich zur Grundentschädigung (als Ersatz für den Verdienstausfall) Anspruch auf Betriebszulage (als aufgrund der Gesamtentschädigung berechnete Beteiligung an den Fixkosten). Art. 16b ff. EOG, die die Entschädigung bei Mutterschaft regeln, sehen nichts dergleichen vor. Vom diesbezüglich klar dokumentierten Willen des Gesetzgebers abzuweichen, würde gemäss Bundesgericht den Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung hinsichtlich des verfassungsmässigen Gebots der Gleichbehandlung von Mann und Frau (Art. 8 Absatz 3 Bundesverfassung) sprengen. Es liege auch gar kein vergleichbarer Sachverhalt vor: «Die Mutterschafts­versicherung knüpft an die biologische Mutterschaft an (Niederkunft mit anschliessender Erholungs- und Stillzeit); diese kann sich nur bei Frauen  verwirklichen.»
Auf der Ebene der Gesetzgebung hat das Parlament 2019 zwei Motionen mit dem Titel «Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbständigerwerbenden» angenommen:

- Motion 19.4270 vom 26.9.2019, eingereicht von Liliane Maury Pasquier, am 12.12.2019 von Ständerat angenommen;
- Motion  19.4110 vom 24.09.2019, eingereicht von Li Min Marti, am 20.12.2019 vom Nationalrat angenommen;

Damit wird der Bundesrat beauftragt, das EOG so anzupassen, dass selbständig Erwerbende im Falle einer Mutterschaft Anspruch auf Betriebszulagen analog den Betriebszulagen nach Artikel 8 erhalten.
Eine am 22.03.2019 von Margret Kiener Nellen im Nationalrat eingereichte Motion 19.3373 hatte der Bundesrat noch zur Ablehnung empfohlen mit dem Argument, dass neue Vorschläge für einen Leistungsausbau in der EO im Lichte laufender Gesetzesvorhaben (Vaterschaftsurlaub, Adoptionsentschädigung, …) behandelt werden müssen, damit die Finanzierung der EO auch in Zukunft gewährleistet werden kann.

Direkter Link zur Pressemitteilung vom 15. Juli 2020 (deutsch: BGer.ch) - (français: BGer.ch)
Direkter Zugang zum Urteil (bger.ch)