Elternschaft verpflichtet jenseits von Geschlecht, sexueller Orientierung und Zivilstand

SCHWEIZ, BERN: FAMILIENRECHT

Obergericht Bern, 26. Februar 2020 (ZK 2019 477)

Das Berner Obergericht bestätigt in seinem Leiturteil vom 26. Februar 2020, rechtskräftig seit 12. Mai 2020, die erstinstanzlich gesprochenen Unterhaltspflichten der Co-Mutter gegenüber Kindern und Partnerin, welche die lebliche und damit rechtliche Mutter der Kinder ist.
Die beiden Mütter lebten in eingetragener, aber getrennter Partnerschaft. Begründet wird die Unterhaltspflicht der Co-Mutter in Bezug auf die Kinder vom Obergericht mit der Beistandspflicht nach Art. 13 und Art. 27 Abs. 1 PartG: indem sie ihrer Partnerin in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern in angemessener Weise beizustehen hat. Das Frauenpaar hatte aufgrund eines gemeinsamen Kinderwunsches und Entscheides für Kinder die beiden Kinder über 12 Jahre lang gemeinsam aufgezogen. Der Co-Mutter kam dabei die hauptsächliche Ernährerinnenrolle zu (100% Arbeitspensum), während die leibliche Mutter ihre Berufsarbeit zugunsten der Familie auf 50 Stellenprozente reduzierte.  Zu einer Adoption war es nicht gekommen, weil sich das Paar vor dem Inkrafttreten des neuen Adoptionsrechts (1.1.2018) getrennt hatte. Zudem hat das Obergericht entschieden, dass die Vorinstanz für die Regelung des Kontaktrechts der Co-Mutter nicht zuständig gewesen war, da der Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 PartG diesbezüglich keinen Spielraum offen lasse (E. 19; insb. 19.2): zuständig für Kinderbelange sei die «Vor-mundschaftsbehörde», eine Annexzuständigkeit des Gerichts sei nur bei gemeinsamen Kindern, nach einer Stiefkindadoption vorgesehen.

Kommentar von Sandra Hotz: Damit hat das Berner Obergericht die Unterhalts­pflicht gegenüber den Kindern unter Anwendung des Partnerschaftsgesetzes richtigerweise als Form der Beistandspflicht unter getrenntlebenden Partnerin­nen in eingetragener Partnerschaft behandelt: Es wurde von einer indirekten Unterhaltspflicht gegenüber Kindern ausgegangen. Eine über das Ende der eingetragenen Partnerschaft hinausreichende Kindesunterhaltspflicht im eigentlichen Sinn besteht indes nicht, was aus Kinderrechtsperspektive eine der vielen Unzulänglichkeiten des PartG ist. Dieser Fall illustriert aber auch die Mängel des neuen Adoptions­rechts, denn es gibt nicht erst seit dem 1.1.2018 gleichge­schlecht­liche Elternpaare mit Kindern. Realität ist aber, dass der nicht-rechtliche, soziale Elternteil heute oftmals  gar nicht adoptieren kann, weil es an den Adoptions­voraus­setzungen zum Zeitpunkt der Stellung des Adoptionsgesuches fehlt (Art. 264a, 264c Abs. 1 Ziff. 2 ZGB), namentlich der Voraussetzung eines seit 3 Jahren gemeinsam geführten Haushaltes: a) weil das Elternpaar sich wie in vor­liegendem Entscheid zwischenzeitlich getrennt hat oder b) weil das Elternpaar seit Jahren in einer Fernbeziehung lebt und aus beruflichen Gründen nicht einfach ab 2018 im gleichen Haushalt leben konnte resp. kann oder sei es, dass die gemeinsamen Kinder mittlerweile gar schon volljährig sind (womit wieder besondere auf die Lebensrealität einer solchen Familie bezogen unpas­sen­de Adoptionsvoraussetzungen nach Art. 266 ZGB anfallen). Letztlich fehlt es aber einfach auch an der rechtlichen Möglichkeit für eine Co-Mutter (oder Co-Vater) bereits ab Geburt des gemeinsa­men Wunsch­kindes als rechtliches zu anerkennen. Im Resultat zeigt dieses Urteil damit sehr schön auf, wie dringend nötig ein künftiger Regelungs­rahmen ist, um Elternrechte und -pflichten diskriminierungsfrei, kindeswohlorientiert und schweizweit beständig zu regeln, denn jedes Kind hat gleichermassen Anspruch auf Kinderunterhalt und Kontakt- und Besuchsrechte jenseits von Geschlecht, sexueller Orientierung und Zivilstand der Eltern. Nichts Anderes kann für pro­zessuale Fragen wie diejenige der Annexzuständigkeit eines Gerichts in der zentralen Frage des Kontakt- und Besuchsrechts gelten, auch hier besteht ein Gleichbehandlungsanspruch.

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