Die CEDAW in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts

WELT (CEDAW): RECHTSPRECHUNG IN DER SCHWEIZ

von Rosemarie WEIBEL

Allgemeines
In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) bisher selten Eingang gefunden.

Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau
Höchstrichterliche Anwendung fand die CEDAW mit Bezug auf die Pflicht zum Tätigwerden der Kantone: So verpflichtete das Bundesgericht den Kanton Zug, einen Ersatz für die bisherige Kommission für die Gleichstellung bzw. die Chancengleichheit von Frau und Mann vorzusehen (Urteil vom 21. November 2011 BGE 137 I 305). Die einige Jahre danach eingereichte Rechtsverzögerungsbeschwerde wies das Bundesgericht aber dann ab, obschon bloss eine vorläufige Ersatzmassnahme, deren Wirksamkeit nicht belegt war, eingeführt worden war (BGer 1C_504/2016 vom 19 Oktober 2017 und Newsletter 2018#1). Schon im Urner Quotenentscheid (BGE 125 I 21) vom 7. Oktober 1998 hatte sich das Bundesgericht zwar mit Art. 4 CEDAW auseinandergesetzt und auf die Empfehlung des CEDAW-Ausschusses hingewiesen, vermehrt zeitlich befristete Sondermassnahmen einzusetzen. Das Übereinkommen enthalte aber keine konkreten Verpflichtungen, sondern überlasse den Vertragsstaaten die Wahl der Mittel, mit denen sie die Untervertretung von Frauen im politischen und öffentlichen Leben beheben wollen (E. 4b).
Die Weigerung einer Universität, eine Studentenverbindung anzuerkennen, die keine Frauen zur Mitgliedschaft zulässt, ist laut Bundesgericht aber offenbar kein geeignetes Mittel zur Beseitigung von Diskriminierungen im Bildungswesen (Art. 10 CEDAW). Das Bundesgericht stellte am 21. März 2014 der legitimen (immerhin!) Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau durch die Universität die Vereinigungsfreiheit und rechtsgleiche Behandlung der Studentenverbindungen gegenüber und befand, die Vereinsfreiheit habe Vorrang (BGE 140 I 201).

Die CEDAW im Migrationsrecht
Eine effizientere Wirkung hat die CEDAW in ausländerrechtlichen Fragen: Zwar verneint das Bundesgericht das Vorliegen konkreter Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 1 lit. c CEDAW (gleiche Rechte und Pflichten während und nach der Ehe), welche im Rahmen einer Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen gerügt werden könnten (BGer 2C_364/2010 vom 23. September 2010) und im Urteil vom 13. Dezember 2011 (BGer 2C_1013/2011) befand es, die Berufung auf Art. 16 CEDAW sei zu generell. Bezüglich Bleiberecht nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft (Art. 50 AIG), zog das Bundesgericht aber die allgemeine Empfehlung 19/1992 des CEDAW-Ausschusses zur Gewalt gegen Frauen bei zur Interpretation von Art. 77 VZAE (Beweismass und Beweisanforderungen bei der Feststellung ehelicher Gewalt) (BGE 142 I 152 vom 26. Mai 2016). Im zur Publikation vorgesehenen Urteil (BGer 2C_373/2017) vom 14. Februar 2019 anerkannte das Bundesgericht weiter einen Anspruch auf eine Kurzaufenthaltsbewilligung für ein Opfer von Menschenhandel. Die Beschwerdeführerin leitete ihren Aufenthaltsanspruch aus Art. 14 Abs. 1 lit. b ÜBM (Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels) ab, ausgelegt im Lichte von Art. 4 EMRK sowie von Art. 6 CEDAW. Unter anderem die Berufung auf Art. 6 CEDAW, wonach die Vertragsstaaten alle geeigneten Massnahmen treffen zur Abschaffung jeder Form des Frauenhandels und der Ausbeutung der Prostitution von Frauen bewog das Bundesgericht zum Eintreten auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (E. 1.2). Inhaltlich führte das Bundesgericht danach aus, die CEDAW enthalte lediglich eine generelle Verpflichtung, jegliche Form des Frauenhandels zu bekämpfen, sei aber jedenfalls im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung der massgeblichen nationalen Vorschriften sowie auf dem Wege der Rechtsfortbildung zu berücksichtigen. (E.3.4.4).

Rechtsprechung zum Personalrecht
Eine weitere Gruppe von Urteilen betrifft das öffentliche Personalrecht: In Newsletter 2018#1 haben wir über BGer 8C_605/2016 vom 9. Oktober 2017 berichtet. In diesem Falle diente die CEDAW klar zur Konkretisierung des Gleichstellungssatzes: nach Art. 11 Abs. 2 lit. b CEDAW darf der Mutterschaftsurlaub nicht zum Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes, des Dienstalters oder sozialer Zulagen führen. Auch in BGE 145 II 153 vom 5. April 2019 (Newsletter 2019#3, Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung) wurde offenbar die CEDAW angerufen (E. 4.5.2), allerdings nicht so konkret als dass das Bundesgericht sich damit auseinanderzusetzen verpflichtet gefühlt hätte. Bezüglich Lohngleichheit (Zürcher Kindergärtner*innen, BGer 8C_696/2016 vom 19. September 2017 im Newsletter 2018#1) erklärte das Gericht im Übrigen, aus Art. 5 (Stereotype) und 11 CEDAW (Berufsleben) ergäben sich keine Ansprüche, die sich nicht schon aus Lohngleichheitsanspruch gemäss innerstaatlichem Recht (Art. 8 Abs. 3 BV und Art. 3 Abs. 1 und 2 GlG) ableiten liessen (E. 4.1).

Anwendungsversuche im Sozialrecht
Zwei Verfahren, in denen die CEDAW – vergeblich – angerufen wurde, betreffen Sozialleistungen: In BGer 2P.314/2005 und 2P.313/2005 vom 14. Mai 2007 betreffend Altersbeschränkung zum Bezug von Studienbeihilfen (bis 40 Jahre), machten Beschwerdeführerinnen unter anderem mit Bezug auf den ersten und zweiten Staatenbericht der Schweiz geltend, dass „Für Frauen, die ihre Ausbildung wegen familiärer Pflichten unterbrochen oder verlängert haben“, „strikte Altersgrenzen oder eine restriktive Regelung der maximalen Dauer von Stipendien besonders ungünstig“ sind (zitiert aus Ziffer 279) (E.6.1). Aufgrund von vom Kanton gelieferten statistischen Daten bezogen auf die Anträge von Personen über 40 Jahren (E. 6.6) wurde eine geschlechtsspezifische Diskriminierung trotzdem verneint.
Erwähnung findet die CEDAW interessanterweise nebenbei auch im publizierten Entscheid (BGE 140 I 305) vom 15. September 2014 zur Mutterschaftsentschädigung (von 14 Wochen): Ein Vater verlangte eine Aufteilung des Anspruchs auf beide Elternteile. Dabei berief er sich auf die CEDAW als Interpretationshilfe (E. 3.2, E. 7.4) bezüglich Gleichbehandlung von Frau und Mann im Hinblick auf die Elternbeziehung – konkret also zulasten der Frauen. Angesichts auch des klaren Gesetzeswortlauts von Art. 16b EOG wurde die Klage abgewiesen.

Schlusswort
Was Alberta Fabbricotti (Rivista AIC – Associazione italiana dei costituzionalisti, 2/2017, siehe Beitrag in diesem Newsletter) unter Berufung auf eine entsprechende Untersuchung in 55 Ländern ausführt, gilt auch für die Schweiz: Verweise auf die CEDAW werden zwar marginalisiert und/oder ignoriert, aber es findet nie eine vollständige Missachtung oder ein Zerriss der Konventionsbestimmungen statt. Hinzugefügt werden kann, dass nicht nur der Konventionstext als solcher, sondern auch die general recommendations des CEDAW-Ausschusses und die Staatenberichte in der juristischen Argumentation jedenfalls zur Unterstützung der gleichstellungsgerchteren Interpretation innerstaatlichen Rechts nützlich sein können.
Für eine ausführlichere Darstellung der Schweizer Gerichts- und Verwaltungspraxis verweisen wir auf den CEDAW-Leitfaden für die Rechtspraxis, Teil 5, mit Besprechung der bisherigen Bundesgerichts-, aber auch der Bundesverwaltungsgerichtsurteile und weiteren Hinweisen (Stand 1. Januar 2019).