Die Glaubhaftmachung im Sinne von Artikel 6 des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichts

SCHWEIZ: GLAUBHAFTMACHUNG EINER DISKRIMINIERUNG

2018

Gutachten von Prof. François Bohnet im Auftrag des Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG)

Das Gutachten zeigt zunächst anhand von Beispielen auch in anderen Rechtsgebieten den Unterschied zwischen Beweislast und Beweismass auf (volle Überzeugung, überwiegende Wahrscheinlichkeit, Glaubhaftmachung). Danach wird die Glaubhaftmachung im Sinne von Art. 6 GlG analysiert (Übernahme des europäischen Rechts, Zweck der Bestimmung, Anwendungsbereich, Begriff, Folge der Anerkennung der Glaubhaftmachung mit Beweislastumkehr). Es folgt die Anwendung von Art. 6 GlG durch das Bundesgericht: Dem Gericht wird eine zweistufige Beweisprüfung auferlegt, wobei zunächst zu prüfen ist, ob die Arbeitnehmerin eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts glaubhaft gemacht hat. Ist dies der Fall wird geprüft, ob der Arbeitgeber den Beweis erbracht hat, dass der Lohnunterschied nicht auf dem Geschlecht, sondern auf objektiven Gründen beruht. Die arbeitgebende Partei kann dabei einerseits den Gegenbeweis führen (mit Bezug auf die geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung, bei der Glaubhaftmachung genügt und die Beweislast bei der klagenden Partei liegt), andererseits den Beweis des Gegenteils (mit Bezug auf die objektiven Gründe, auf denen die Ungleichbehandlung beruht – Vollbeweis, Beweislast bei der beklagten Partei). Die Gerichte unterscheiden allerdings nur selten zwischen Glaubhaftmachung der Diskriminierung und Rechtfertigungsbeweis, wie die Analyse der kantonalen Rechtsprechung nach dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (2004-2015) gezeigt hat (dazu die Beiträge in Newsletter 2017#4 und Newsletter 2017#3). Es folgt eine Darstellung des Gegenstandes der Glaubhaftmachung sowie die Darlegung einiger vom Bundesgericht als sachlich anerkannten Rechtfertigungsgründe und deren Beurteilung. Bei der Besprechung der Anwendung von Art. 6 GlG in Fällen von Lohndiskriminierung weist der Gutachter unter anderem darauf hin, dass Argumentationen wie zum Beispiel in BGE 143 II 366 (Aargauer Primarlehrer*innen, siehe dazu Newsletter 2017#3) zur Folge haben können, dass die Ungleichbehandlung eines typisch weiblichen Berufes mit der Ungleichbehandlung eines geschlechtsneutralen Berufes gerechtfertigt wird. Das Kapitel enthält auch eine Aufstellung der für die Glaubhaftmachung als genügend erachteten Grenzwerte sowie die Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsgründen. Im Ergebnis schliesst der Gutachter, dass das ursprünglich beim Erlass des GlG verfolgte Ziel der Beweiserleichterung kaum erreicht wird. Letztlich macht der Vergleich zwischen GlG und anderen Verfahren, in welchen das Beweismass der blossen Glaubhaftmachung gilt (zum Beispiel bei vorsorglichen Massnahmen) deutlich, wie schwierig das theoretisch anwendbare System von Art. 6 GlG praktisch anwendbar ist, weil die Unterscheidung erst ganz am Schluss des Verfahrens erfolgt, wenn schon sämtliche Tatsachen vorgebracht und sämtliche Beweise vorgeschlagen und abgenommen worden sind. Der Gutachter empfiehlt daher Praktiker*innen, sämtliche verfügbaren Beweismittel zusammenzutragen, in der Eingabe aber dann klar zwischen Glaubhaftmachung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (in einem ersten Teil) und Fehlen sachlicher Rechtfertigungsgründe (in einem zweiten Teil) zu unterscheiden, damit sich die Chancen erhöhen, dass sich die arbeitgebende Partei und das Gericht ebenfalls gemäss dem in Art. 6 GlG vorgesehenen System äussern. Den Gerichten schlägt er vor, von der in Art.125 Bst. a ZPO vorgesehen Möglichkeit Gebrauch zu machen und das Verfahren zunächst auf die Glaubhaftmachung zu beschränken, und zwar aufgrund unmittelbar verfügbarer Beweismittel. Als letzte Möglichkeit wird ein Zusatz zu Art. 6 GlG vorgeschlagen, der dieses Vorgehen ausdrücklich vorschreibt.

Kommentar von Rosemarie Weibel
Ein gerade für Praktikerinnen äusserst nützlicher Text, wobei m.E. nicht klar ist, wieso einerseits von Glaubhaftmachen der Diskriminierung, andererseits von Rechtfertigungs­gründen die Rede ist, da eine Diskriminierung im Sinne des GlG erst vorliegt, wenn für eine Unterscheidung keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Wenn nun gesagt wird, es solle zwischen Glaubhaftmachung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Beweislast bei der arbeitnehmenden Partei) und Rechtfertigung (Beweislast bei der arbeitgebenden Partei) unterschieden werden, könnte dies dahingehend verstanden werden, dass die arbeitnehmende Partei die Ungleichbehandlung an sich (Massnahme, Benachteiligung, Bezug zum Geschlecht) nicht nur glaubhaft machen, sondern beweisen muss, was so nicht im Sinne des GlG ist.
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