Warum so wenige Juraprofessorinnen?

SCHWEIZ UND DEUTSCHLAND: BILDUNG

2018

Ulrike SCHULTZ / Anja BÖNING / Ilka PEPPMEIER / Silke SCHRÖDER (unter Mitarbeit von Juliane ROLOFF), De jure und de facto: Professorinnen in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2018.

Gastbeitrag von Zita KÜNG

Dass die Anzahl von Frauen, die an deutschen Universitäten eine Jura-Professur innehaben, notorisch klein ist, hatte die Studie von Ulrike Schultz et al. gezeigt, welche 2018 publiziert wurde - für die Schweiz fehlt eine vergleichbare Studie weiterhin.
Die Forscherinnen wollten Erkenntnisse zu «Exklusionsmechanismen und Inklusionshindernissen für Frauen in rechtswissenschaftlichen Bereich» gewinnen. Vor allem interessierte sie, «Welche Interventionen von wem können helfen, Karrieren von Rechtswissenschaftlerinnen zu fördern, damit das Potential von Nachwuchswissenschaftlerinnen nicht verloren geht?». Der eklatante Frauenmangel auf dieser Stufe brachte sie zur folgenden Vermutung: «In den Rechtswissenschaften wirken daher erkennbar besondere Mechanismen, die wissenschaftliche Karrieren von Frauen behindern. Sie sind damit auch in besonderer Weise geeignet, Aufschluss über Benachteiligungsstrukturen für Wissenschaftlerinnen insgesamt zu liefern.»
Diese Faktoren wurden untersucht:

  • Einstellungen gegenüber Frauen in der Wissenschaft.
  • Biographie und Lebenssituation von Wissenschaftlerinnen, Effekte der sozialen Herkunft.
  • Wissenschaftliche Qualifikationswege von Frauen.
  • Individuelle und strukturelle Barrieren in der Wissenschaft.
  • Berücksichtigung der Fachkultur.
  • Konsequenzen der Betonung von Frauenförderung.

Eine quantitative Datenauswertung sollte aktuelle Daten über die Zahl der Frauen im Rechtsbereich bringen. Im qualitativen Untersuchungsbereich wurden Professorinnen und Professoren, Nachwuchsfrauen, «Pionierinnen», Expert*innen wie Dekan*innen sowie Gleichstellungsbeauftragte befragt. Regelungs- und Dokumentenanalysen sollten Aufschluss über die Wirkung von Gleichstellungsinstrumenten und zur rechtswissenschaftlichen Fachkultur geben. Die Untersuchung sollte mit Handlungsempfehlungen enden.
Das Vorhaben, die Projektabläufe und die durchgeführten Arbeiten sind dokumentiert und abrufbar. Das Projekt wurde am 27. Juni 2014 mit einer Präsentation abgeschlossen. Da dieses Projekt im Rahmen des ESF durchgeführt wurde, war auch eine internationale Diskussion erfolgt. Projektpartner*innen kamen aus den UK, Holland, Belgien, Italien, Finnland und Polen, zusätzlich auch aus Australien, Kanada, USA, Japan, Süd-Korea, China Indien, Südafrika. Weiteres Interesse ist für die Zukunft angemeldet.

Alle untersuchten Aspekte zeigen auf, dass die Anstrengungen der einzelnen Frau zwar nötig aber keinesfalls hinreichend sind. Die Wirkung der bewussten und unbewussten Strukturen und Traditionen ist immer noch verheerend. Das erklärt auch, weshalb die Männer in diesem Feld wenig bis gar keinen Veränderungsbedarf sehen.

Ein konkretes Beispiel mussten wir dieses Frühjahr an der Universität St. Gallen beobachten: Aufgrund der kleinen Anzahl Professorinnen wurden ‘berufbare’ Frauen identifiziert und schriftlich zu einer Bewerbung eingeladen. Auf dem 5er-Auswahlticket waren 3 Frauen und 2 Männer gelistet. Berufen wurde ein Mann. Da diese Berufung alles andere als überzeugend war, prüften die Juristinnen Schweiz eine Verbandsklage auf Feststellung einer Diskriminierung und reichten diese – aus meiner Sicht leider – nicht ein. Das St. Galler Tagblatt hat dazu Artikel veröffentlicht.
Gut untermauert durch die deutsche Studie und durch die skandalös tiefen Zahlen angetrieben, wünsche ich mir, dass auch in der Schweiz an den juristischen (und gerne auch an allen anderen) Fakultäten endlich Massnahmen ergriffen werden, dass nicht nur die verbale Aufgeschlossenheit sondern vor allem die Ergebnisse zählen.
 
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