Die amtliche Registrierung des Geschlechts

SCHWEIZ: PERSONENRECHT

2020

Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, Die amtliche Registrierung des Geschlechts, Stellungnahme Nr. 36/2020, Bern 2020

Die NEK-CNE vertritt die Auffassung, dass die heutige Regelung und Praxis der amtlichen Registrierung des Geschlechts unbefriedigend ist. Sie trägt der Vielfalt von Geschlechtsidentitäten ungenügend Rechnung und lässt fundamentale Interessen von Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität sowie von transidenten und intergeschlechtlichen Menschen ausser Acht. Nach Ansicht der Kommission stellt der Verzicht auf die amtliche Registrierung des Geschlechts die aus ethischer Perspektive vorzugswürdige Lösung dar. Freilich ginge dieser Schritt mit weitreichenden, auch ethisch relevanten, Folgen einher, die nicht nur die in diesem Bereich bestehenden öffentlichen Interessen sowie den umfassenden Anpassungsbedarf bestehender rechtlicher Regelungen betreffen, sondern auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um einen solchen Schritt zu vollziehen. Die Kommission empfiehlt deshalb ein mehrstufiges Vorgehen. In einem ersten Schritt sollen die gesetzlichen Grundlagen für eine dritte Eintragungsmöglichkeit geschaffen werden, die mehrere neue Geschlechtskategorien oder eine neue Geschlechtskategorie mit Addendum vorsieht. Mit der zu definierenden Lösung sollen möglichst viele unterschiedliche Geschlechtsidentitäten inkludiert werden können. Die Kommission empfiehlt, gleichzeitig einen Prozess anzustossen, der eine vertiefte Prüfung der allgemeinen Abschaffung des Geschlechtseintrags zum Gegenstand hat. Zunächst sei ein vertiefendes Gutachten über Voraussetzungen und konkrete Auswirkungen des Verzichts auf die amtliche Registrierung des Geschlechts einzuholen. Dieses soll die Wechselwirkung zwischen rechtlicher Regelung und gesellschaftlicher Norm zum Ausgangspunkt nehmen und aufzeigen, welcher Anpassungsbedarf sich im Detail ergibt und wie sich dieser Schritt in den Kontext der aktuellen internationalen Entwicklungen einbettet. Auf dieser Grundlage gälte es, den weiteren politischen Prozess zu beurteilen. Die Kommission appelliert schliesslich an alle Instanzen, unabhängig von der Frage nach der Registrierung weitere Anstrengungen zu unternehmen und wo nötig gesetzliche Dispositionen vorzusehen, um solche Diskriminierung beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungsbereich zu bekämpfen. Dazu gehört nicht zuletzt auch, öffentliche Räume und Dienstleistungen so auszugestalten, dass sie auch den Bedürfnissen von Personen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität sowie transidenten und intergeschlechtlichen Menschen gerecht zu werden vermögen.

Direkter Zugang zur Stellungnahme (nek-cne.admin.ch)