Die Verordnung über die privaten Hausangestellten lässt keinen Raum für kantonale Mindestlöhne

SCHWEIZ: ARBEITSRECHT

Bundesgericht, 26. Juli 2021 (4A_536/2020)

Die Unterscheidung nach Intensität der Betreuungsarbeit ist kein relevantes Kriterium zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Die Tatsache allein, dass Lohn auf ein auf die Hausangestellte lautendes Konto einbezahlt wurde, ist kein Beweis dafür, dass sie den Lohn auch tatsächlich erhielt. Bei der Berechnung des Lohns für Überstunden ist im Gegensatz zur Berechnung der Ferienentschädigung einzig der Barlohn ausschlaggebend.
Gemäss Verordnung vom 6. Juni 2011 über die Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen der privaten Hausangestellten von Personen, die Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen geniessen (PHV, SR 192.126) haben solche Hausangestellte nebst Kost und Logis sowie der Zahlung sämtlicher Sozialabgaben einschliesslich Krankenkasse Anspruch auf einen Mindestlohn von netto CHF 1'200.00.
Da die Hausangestellte sich nebst dem Haushalt um zwei Kinder zu kümmern hatte, wovon eines behindert, hatten die kantonalen Gerichte zu 50% den – höheren – Mindestlohn gemäss dem einschlägigen genferischen Normalarbeitsvertrag (contrat-type de travail de l'économie domestique genevois) angewandt. Das Bundesgericht befand, die Intensität des Betreuungsaufwandes sei kein geeignetes Kriterium für die Bestimmung des anwendbaren Rechts, womit die PHV allein Anwendung finde, deren Mindestlohn in casu vertraglich eingehalten war. Ausserdem berechne sich der Lohn für Überstunden gemäss Art. 48 Abs. 3 PHV einzig nach dem Barlohn, unter Ausschluss des Naturallohns.
Bezüglich Entschädigung für nicht bezogene Ferien ging das Gericht allerdings strenger mit der Arbeitgeberin um. Die Angestellte war während der Kündigungszeit wegen Verzugs der Arbeitgeberin (Art. 82 OR) der Arbeitspflicht enthoben. Unter diesen Umständen konnte letztere nicht verlangen, dass die Hausangestellte die 36.45 nicht bezogenen Ferientage während der 46 Tage betragenden Kündigungsfrist (während der der Lohnanspruch weiterbestand, Art. 324 OR), kompensiere. Ebensowenig konnte sie von ihr verlangen, dass sie während dieser Zeit bei der Arbeitgeberin Kost und Logis bezog, so dass sich der Ferienlohn unter Berücksichtigung der Naturalleistungen (sowie der regelmässig geleisteten Überstunden) berechnete.
Weiter befand das Bundesgericht, dass es der Arbeitgeberin nicht gelungen war, eine Akontozahlung von CHF 19'000.00 zu belegen, da die Hausangestellte gar nie über die Bankkarte des auf sie lautenden Kontos verfügt hatte und nicht bewiesen war, dass die Bezüge am Bancomat effektiv der Hausangestellten übergeben worden wären. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Arbeitgeberin teilweise gut und reduzierte den letztinstanzlich zugesprochenen Betrag von CHF 51'428.60 brutto und 10'726.65 netto auf CHF 24'471.00 netto.

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Italienische Zusammenfassung dieses Urteils französischer Sprache (sentenzepartia.ch)