Sexuelle Belästigung im Arbeitsverhältnis

SCHWEIZ: SEXUELLE BELÄSTIGUNG

Bundesgericht, 29. August 2019 (4A_544/2018)

Sexuelle Belästigung liegt nicht nur vor, wenn das Verhalten an sich sexuell konnotiert ist. Ausschlaggebend ist der Kontext, in dem es erfolgt. Zwischen der Mitteilung von Gefühlen und dem Aufsetzen von Druck zur Eingehung einer intimen Beziehung besteht ein Unterschied.

Nach einigen Jahren guter Zusammenarbeit bringt der Vorgesetzte der Angestellten seine Gefühle zum Ausdruck und schlägt ihr vor, eine intime Beziehung einzugehen, was diese ablehnt. Der Vorgesetzte insistiert und übt unter Ausnützung seiner Stellung als Vorgesetzter Druck aus, um zu seinem Ziel zu gelangen. Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass Arbeitnehmer*innen nicht sexuell belästigt werden und dass den Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen (Art. 328 OR). Das Bundesgericht schützt den vorinstanzlichen Entscheid, der der Angestellten eine Entschädigung von ca. 4 schweizerischen Durchschnittslöhnen gemäss Art. 5 Gleichstellungsgesetz (GlG) zugesprochen hatte.
Den Zeugen waren Parteiaussagen aus den Rechtsschriften vorgelesen worden, zu denen sie Stellung nehmen sollten: ein Vorgehen, dem die Lehre wegen der Gefahr der Beeinflussung kritisch gegenübersteht. Da der Arbeitgeber den angeblichen Verfahrensfehler nicht sofort geltend gemacht hatte und nicht ausführt, wo eine Zeugenaussage konkret beeinflusst worden wäre, lässt das Bundesgericht die Frage offen, ob dieses Vorgehen rechtskonform sei (E. 4).
Was die Autorenschaft von SMS angeht, ist Art. 8 ZGB nicht dadurch verletzt, dass das Gericht sich mit einer Transkription begnügt hatte. Es ist dies eine Frage der richterlichen Beweiswürdigung und angesichts auch der übrigen Beweise bestand kein Grund, an der Autorenschaft der SMS zu zweifeln. (E. 5).
Auch die Berücksichtigung indirekter Zeugenaussagen wie (übereinstimmende) Berichte von Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen gibt keinen Anlass zur Kritik (E. 7).
Was den Inhalt der Nachrichten anbelangt, ist nicht deren sexuelle Konnotation ausschlaggebend, sondern der Kontext, in dem sie erfolgen. Mit Bezug auf die Definition von sexueller Belästigung führt das Bundesgericht aus, dass der Vorgesetzte der Angestellten seine Gefühle zum Ausdruck brachte, sei das eine. Druck auf sie auszuüben, damit sie eine intime Beziehung mit ihm eingehe, ist etwas anderes (E. 7).

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