Rechtsprechung 2020 des Bundesgerichts in Gleichstellungssachen

SCHWEIZ: GLEICHSTELLUNGSGESETZ

2021
 
Die Webseite sentenzeparita.ch, auf welcher die publizierte Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie des Tessiner Obergerichts auf italienisch zusammengefasst wird, ist mit den 2020 veröffentlichten Entscheiden aktualisiert.
Zusammenfassung und Übersetzung durch Rosemarie Weibel

Die italienischsprachige «Cousine» von gleichstellungsgesetz.ch und www.leg.ch/jurisprudence wurde wie üblich per Ende Jahr aktualisiert. Auf der Plattform werden sämtliche Bundesgerichtsentscheide zum Gleichstellungsgesetz, sowie ausgewählte Urteile zu weiteren gleichstellungsrelevanten Themen aufgenommen und mit einer italienischsprachigen Zusammenfassung aufgeschaltet. Sie enthält ausserdem eine Rubrik mit den wichtigsten online zugänglichen Publikationen zum Gleichstellungsgesetz sowie Materialen aus Weiterbildungsveranstaltungen.

Im Jahr 2020 wurden drei Urteile des Obergerichts zum Gleichstellungsgesetz publiziert, wovon wir eines im letzten Newsletter vorgestellt haben (NL 2020#4) und eines im aktuellen Newsletter. In zwei davon ging es um Lohndiskriminierung: Im Urteil vom 05.03.2020 wurde die Sache an die untere Instanz zur Vervollständigung des Beweisverfahrens zurückgewiesen (NL 2020#4). Mit Urteil vom 27.07.2020 wurde die Klage einer Kantonsangestellten im Rahmen der Umstellung auf das neue Lohnsystem trotz Ungleichbehandlung mit verschiedenen Kollegen abgewiesen, da es keine Gleichbehandlung im Unrecht gibt und der Kanton einzuschreiten versprach. Das dritte Urteil vom 24.09.2020 bestätigt das vorinstanzliche Urteil, das der Angestellten eine Entschädigung wegen sexueller Belästigung sowie eine Entschädigung für missbräuchliche Kündigung zuerkannt hatte (siehe dazu den Beitrag im aktuellen Newsletter).

Das Bundesgericht seinerseits hatte im Berichtsjahr mehrere Verfahren in Sachen sexuelle Belästigung und Mobbing zu entscheiden:
In BGer 6B_69/2019 vom 04.11.2019 ging es um die Frage, inwieweit audiovisuelle Aufnahmen strafrechtlich relevanten belästigenden Charakter haben können und ob die Äusserung, wonach eine Politikerin ihren politischen Erfolg sexuellen Gefälligkeiten gegenüber Politikern zu verdanken habe dem Tatsachenbeweis zugänglich sei (siehe auch NL 2020#1).
BGer 8C_879/2018 vom 6.3.2020 setzte sich damit auseinander, ob das Arbeitsumfeld und insbesondere der Druck auf Mobber einer fristlosen Kündigung des Täters/der Täterin entgegenstehen kann.
In BGer 8C_74/2019 vom 21.10.2020 schliesslich hatte das Bundesgericht Gelegenheit, den Charakter der Entschädigung nach Art. 5 Abs. 3 GlG klarzustellen (siehe dazu den Beitrag im aktuellen Newsletter).

Mehrere Urteile betrafen sodann Schwangerschaft und Mutterschaft:
BGer 4A_59/2019 vom 12. Mai 2020 führte aus, dass eine Kündigung nach Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub vermutungsweise missbräuchlich ist, und zwar auch dann, wenn die Stellvertretung besser qualifiziert ist (NL 2020#3).
Bezüglich Arbeitslosenversicherung wurde festgehalten, dass eine schwangere Frau selbst kurz vor der Niederkunft vermittelbar bleibt, zumindest solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen beabsichtigt (NL 2020#2).
Das Erwerbsersatzgesetz betraf der Entscheid BGer 9C_737/2019 vom 22. Juni 2020, wonach es nicht diskriminierend sei, dass selbständig erwerbende Mütter keinen Anspruch auf Betriebszulagen zusätzlich zur Mutterschaftsentschädigung haben, im Gegensatz zur Entschädigung für Dienstleistende. Glücklicherweise sind parlamentarische Vorstösse hängig, um diese Ungleichbehandlung zu beheben. (NL 2020#3).

Vier Urteile betrafen wiederum Fragen der Lohn- und Beförderungsdiskriminierung:
Der Beruf des Psychologen und der Psychologin ist ein typischer Frauenberuf, auch ein Psychologe kann sich somit auf das GlG berufen (BGer 8C_420/2019 vom 20.02.2020, NL 2020#2).
In BGer 8C_179/2020 vom 12.11.2020 (siehe dazu den Artikel im aktuellen Newsletter), hat das Bundesgericht die Rechtsprechung zu den Lohnsystemen zusammengefasst – dem/der Arbeitgeber*in steht ein grosser Spielraum zur Verfügung, solange die Differenzierungskriterien nicht nach Geschlecht unterscheiden.
Ebenfalls ein kantonales Lohnsystem betraf BGer 8C_162/2019 vom 19.02.2020, wonach Ungleichbehandlungen, die sich bei der Umstellung zu einem neuen Lohnsystem aufgrund der Garantie der erworbenen Rechte ergeben können grundsätzlich objektiv gerechtfertigt sind.
Interessant ist auch BGer 8C_598/2019 vom 21.01.2020: danach besteht kein Grund dafür, ein Bundesgerichtsurteil, das eine Lohndiskriminierungsklage abweist, weitergehend zu anonymisieren. Rückzüge auf eine konkrete Person, die sich trotz Anonymisierung der Partei(en) insbesondere aus der Zusammenfassung des Sachverhaltes ergeben können, sind daher im Namen der Transparenz der Rechtsprechung in Kauf zu nehmen.
Mehrere Urteile befassten sich mit eher prozeduralen Fragen, so BGer 8C_463/2019 vom 10.06.2020 wonach es zulässig ist, ein Berufungsverfahren zu annullieren wenn keine der Kandidatinnen und Kandidaten die Wahlvoraussetzungen erfüllt oder gar erfüllen kann.
BGer 8C_701/2019 vom 16.01.2020 erinnert daran, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wegen Verletzung des Gleichstellungsgesetzes zulässig ist, wenn entweder der Streitwert CHF 15‘000.00 übersteigt oder es sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit handelt. In casu lag der Streitwert des Arbeitszeugnisses unter CHF 15‘000, da es bereits weitgehend den Wünschen der Beschwerdeführerin entsprach, so dass die Beschwerde als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen wurde.
BGer 4A_522/2019 vom 07.04.2020 schliesslich stellt in Sachen Klagehäufung klar, dass es übersetzt formalistisch wäre, auf eine Klage, die Ansprüche nach GlG mit anderen Ansprüchen vereint, nicht einzutreten, bloss weil auf die beiden Ansprüche ein unterschiedliches Verfahren Anwendung findet (NL 2020#3).

Direkter Zugang zur Rechtsprechungsübersicht (mit Link zu ausführlicheren Zusammenfassungen in italienisch und zu den Bundesgerichtsentscheiden in französisch beziehungsweise deutsch): sentenzeparita.ch