Organstreitverfahren zum brandenburgischen Parité-Gesetz - Verletzung landesverfassungsmässig geschützte Rechte politischer Parteien

DEUTSCHLAND: VERFASSUNGSRECHT

Verfassungsgericht, 23. Oktober 2020, VfGBbg 9/19

Gastbeitrag von Lea RABE, Doktorandin Universität Münster

Durch den Erlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes – Parité-Gesetz vom 12. Februar 2019 (GVBl. I/19, Nr. 1), das eine Verpflichtung politischer Parteien zur Aufstellung geschlechtsparitätischer Wahllisten statuiert, hat der Landtag Brandenburg die Rechte des Landesverbandes der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands aus Art. 20 I BbgLV, Art. 21 I 2 GG (Organisations- und Programmfreiheit), Art. 21 I 1 GG, Art. 20 III 2, 22 III 1, 2 BbgLV (Wahlvorschlagsfreiheit) und Art. 21 GG, Art. 12 I, II, 20 I, 21 BbgLV (Chancengleichheit) verletzt.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2020 hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Organstreitverfahren die Verletzung der Rechte der Landesverbandes der NPD auf Organisations- und Programmfreiheit, Chancengleichheit und Wahlfreiheit durch Erlass des brandenburgischen Parité-Gesetzes festgestellt. Aufgrund der Rolle der Parteien im demokratischen Willensbildungsprozess müssten auch die innerparteilichen Organisations- und Entscheidungsprozesse frei von inhaltlicher staatlicher Einflussnahme gehalten und ein freies, demokratisch ausgestaltetes Aufstellungsverfahren geschützt werden. Durch die Vorgabe geschlechtsparitätischer Listenbesetzung (§ 25 III BbgLWahlG) reduziere sich aber der Entscheidungsspielraum bei der Listenaufstellung und es werde eine (geschlechts-)programmatische Entscheidung vorgegeben. Die Antragstellerin sei gegenüber Parteien mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis und solchen, die nur Personen eines Geschlechts aufnehmen und vertreten, benachteiligt. Sie müsse aufgrund ihres geringen Frauenanteils (13,6%) entweder mit einer stark verkürzten Liste oder - im Fall der Zurückweisung - ohne Landesliste zur Wahl antreten. Auch die Ausnahmevorschrift des § 25 III 7 BbgLWahlG gelte für sie nicht. Das Parité-Gesetz konkretisiere weder die Gleichheit der Wahl noch das Demokratieprinzip (Art. 2 I, II BbgLV), sondern stehe zu letzterem vielmehr im Widerspruch (vgl. die Besprechung der Entscheidung VfGBbg 55/19 in dieser Ausgabe). Auch Art. 12 III 2 BbgLV (Gleichstellung von Mann und Frau) könne die Eingriffe nicht rechtfertigen, da die Staatszielbestimmung keine Befugnis zur einfachgesetzlichen Änderung verfassungskonstituierender demokratischer Strukturprinzipien begründe. Die wesentlichen demokratischen Entscheidungen seien der verfassunggebenden beziehungsweise -ändernden Gewalt vorbehalten.
Über eine hilfsweise eingereichte Verfassungsbeschwerde war nicht mehr zu entscheiden.  Zeitgleich verhandelt wurde jedoch im Verfassungsbeschwerdeverfahren VfGBbg 55/19. Nach der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 15. Juli 2020 stellen die beiden Urteile die zweite verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung mit dem Thema Parität aus Deutschland dar.
 
Zum Urteil (verfassungsgericht.brandenburg.de)
Zur Pressemitteilung des VfGBbg (verfassungsgericht.brandenburg.de)
Zum Symposium ‹Gender Parity in Parliaments› auf dem Verfassungsblog (verfassungsblog.de)
Parlamentarische Initiative (Paritätische Wahllisten)
siehe auch Rita Süssmuth / Jelena von Achenbach / Frauke Brosius-Gersdorf / Christine Hohmann-Dennhardt / Renate Jaeger / Silke Laskowski / Friederike Wapler: Es gibt keinen Besitzstandsschutz im Wahlrecht, VerfBlog, 2020/10/21 (verfassungsblog.de)