Keine missbräuchliche Kündigung infolge Streiks

SCHWEIZ: STREIKRECHT

BGer, Urteil vom 17.Dezember 2018, 4A_64/2018

Die Beschwerde von 20 Mitarbeitenden gegen das Spital (=Stiftung X) wegen missbräuchlicher Kündigung infolge Streiks wird abgewiesen.
Spital X hat seine Mitarbeitenden im April 2012 darüber informiert, dass per Ende 2012 ihr Gesamtarbeitsvertrag CCT Santé 21 gekündigt werde, infolge Restrukturierung (Wechsel zur Gruppe Y) und weil sie vom Staat nicht als gemeinnützige Stiftung anerkannt worden war. Die Mitarbeitenden befürchteten eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Es kam zu Treffen mit der Spitalleitung und in der Folge wurden zwei Gewerkschaften eingeschalten. Die Schlichtungsverhandlungen blieben erfolglos. Darauf teilte die Spitalleitung mit, dass der Gesamtarbeitsvertrag CCT Santé 21 bis zum 31. Dezember 2012 in Kraft bleiben werde und der Arbeitsfrieden gewahrt werden müsse. Die Gruppe Y macht in der Folge die Aufnahme des Spitals X in ihre Gruppe von der Zustimmung der Mitarbeitenden abhängig. Die durchgeführte Abstimmung ergibt, dass über zwei Drittel des Personals dafür stimmte, ein Fünftel dagegen. Weitere Verhandlungen – nun mit der Gruppenleitung Y – scheitern jedoch. Am 26.11.2012 kommt es zum Streik der Mitarbeitenden. Gruppe Y teilt Ende 2012 allen Mitarbeitenden mit, dass die Wiederaufnahme der Arbeit vereinbart sei und der alte Vertrag CCT Santé 21 bis Ende 2013 gelten solle. In der Folge erklärten die Gewerkschaft im Namen von 26 Mitarbeitenden am 23. Januar 2013, dass sie am CCT Santé 21 festhalten wollten und diesen nicht mehr verhandle. Gruppe Y fordert sie im Januar 2013 zur Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit auf, unter Androhung der Kündigung. 26 (von 335) Mitarbeitende streiken weiter, worauf ihnen gekündigt wird. 
E. 4.3: Die Rechtmässigkeit eines Streiks hängt kumulativ von vier Bedingungen (Art. 28 Abs. 3 BV sog. «inhärente Bedingungen»): 
1.) Der Streik muss sich auf die Arbeitsbeziehungen beziehen. Genauer gesagt, muss es sich um eine Frage handeln, die durch einen Tarifvertrag geregelt werden kann. Ausgeschlossen sind «politische Streiks» im weitesten Sinne, d.h. solche, die keinen Zusammenhang mehr mit dem Arbeitsverhältnis haben.
2.) Der Streik muss im Einklang mit den Verpflichtungen zur Erhaltung des Arbeitsfriedens oder zur Schlichtung stehen (Art. 357a Abs. 2 OR). Dies ist die Verpflichtung des relativen Friedens, die von der Verpflichtung des absoluten Friedens zu unterscheiden ist, welche die Verpflichtung auf nicht im Vertrag geregelte Angelegenheiten ausweitet und nur dann besteht, wenn der Tarifvertrag dies ausdrücklich vorschreibt. Die Verpflichtung zur Wahrung des Arbeitsfriedens - sowohl relativ als auch absolut - ist mit dem Bestehen eines Tarifvertrages verbunden. Sie endet mit dem Ende des Vertrages oder wenn eine Partei den Tarifvertrag kündigt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Streik sofort möglich ist, da der Streik gemäss dem Grundsatz der ultima ratio voraussetzt, dass alle Mittel der Verhandlung und des Vergleichs erprobt und gescheitert sind.
3.) Der Streik muss den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren. Dieser Grundsatz ergibt sich aus der Aufforderung Konflikte «so weit wie möglich» durch Verhandlung oder Mediation zu lösen (Art. 28 Abs. 2 BV). 
4.) Schliesslich muss der Streik von einer Arbeitnehmervereinigung getragen werden resp. unterstützt werden, die in der Lage ist, einen Tarifvertrag abzuschliessen (vgl. Art. 356 OR).
Das Bundesgericht kommt in dem konkreten Fall E. 5 zum Schluss, dass der Streik nicht rechtmässig gewesen war, v.a. weil es den Streikenden ab 23. Januar nicht mehr um den konkreten Tarifvertrag ging, sondern nur noch um Protest, womit das BGer mit den Vorinstanzen von einem «politischen Streik» ausging. Auch die zweite Voraussetzung sei nicht erfüllt, denn mit dem Angebot der Verlängerung des Tarifvertrags bis Ende 2013 sei ein Streik zum damaligen Zeitpunkt nicht verhältnismässig gewesen; der Streik habe seine ultima ratio Funktion verloren, da der Tarifvertrag CTT Santé noch bis Ende 2013 galt. 
Direkter Zugang zum Urteil (bger.ch)