Warum eine «10 vor 10»-Moderatorin einen Frauenstreikbutton tragen darf.

SCHWEIZ: MEINUNGSÄUSSERUNGSFREIHEIT VON JOURNALIST*INNEN

Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen, 4. Oktober 1991 (JAAC AAC 57.46)

Im Rahmen der dem Veranstalter eingeräumten Programmautonomie steht auch seinen Mitarbeiter*innen – unter strengeren Voraussetzungen als Dritten – das Recht auf freie Meinungsäusserung zu. Eine Moderatorin darf sich mit einem Hinweis auf den kommenden Frauenstreiktag verabschieden.
In der am 13. Juni 1991, Vorabend des «Frauenstreiktags», ausgestrahlten Sendung «10 vor 10» des Fernsehens der deutschen und rätoromanischen Schweiz (DRS) trug die Moderatorin auf ihrem Kleid den bekannt gewordenen lilafarbenen Protestknopf zum Anlass des nationalen «Frauenstreiks». Am Ende der Sendung verabschiedete sich die Journalistin mit folgenden Worten: «Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich verabschiede mich schon heute Donnerstag von Ihnen. Morgen ist – sie haben es sicher mitbekommen – landesweiter Frauenstreiktag. Ich wünsche ihnen einen geruhsamen Abend und eine gute Nacht». Die UBI argumentierte, dass Meinungen, die weder terroristischer noch staatsfeindlicher Natur seien, auch Journalist*innen in ihrer Tätigkeit zugestanden werden müssen. Unter Verweis auf Art. 55bis Abs. 3 aBV, den heutigen Art. 93 Abs. 3 BV, stellte die UBI klar, dass das Auftreten mit Streikbutton und der mündliche Hinweis weder die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen gefährde noch die Pflicht zur Ausgewogenheit verletzte. Erstens handele es sich dabei um eine ‚bloss beiläufige Meinungsäusserung zu einem bekannten politischen Ereignis‘, und zweitens habe das Schweizer Radio und Fernsehen schon mehrere kontroverse Sendungen zum Thema ausgestrahlt, so dass alle politischen Positionen dazu ausreichend beleuchtet worden seien.
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