Anerkennung der durch Familienarbeit erworbenen Kompetenzen

SCHWEIZ: POSTULAT AUF BUNDESEBENE

Postulat 21.4227 eingereicht von Marianne Binder-Keller im Nationalrat am 30. September 2021

Als Aspekt der besseren Vereinbarung von Familien- und Erwerbsarbeit soll Familienarbeit, ob für Männer oder Frauen, Teil der Arbeitsbiografie sein.
Seit Jahren wird die Aufwertung und Anerkennung der Familienarbeit gefordert, wobei meist die Rede von «Verschwendung der Ressourcen» ist, «wenn Familienarbeit vorwiegend als Biografielücke fungiert und die dabei erworbenen Schlüsselkompetenzen wie Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikations- und Organisationsfähigkeit keine Rolle spielen». Der Bundesrat wird daher gebeten, «den volkswirtschaftlichen Nutzen der Familienarbeit (jährlich 6,5 Mia Arbeitsstunden) aufzuzeigen und mittels Zertifizierung oder anderer geeigneter Massnahmen der Familienarbeit die notwendige Anerkennung zukommen zu lassen». Dies auch im Sinne einer Gesamtstrategie zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit und zur Stärkung der Gleichstellung.

Direkter Zugang zum Postulat 21.4227 (parlament.ch)

Kommentar von Rosemarie Weibel
Die Postulantin nimmt Bezug auf insbesondere zwei Quellen:

1. Die Forderung des EBG nach «Anerkennung der bei unbezahlter Care-Arbeit erworbenen Qualifikationen durch Ausbildungsinstitutionen und Arbeitgebende» - siehe dazu auch «Anerkennung und Aufwertung der Carearbeit. Impulse aus Sicht der Gleichstellung», 2010, EBG.

2. Elternkompetenzen & Arbeit, Lask & Junker, zeigen auf, dass der Arbeitsmarkt durch die mangelnde Anerkennung der Familienarbeit einen Kompetenz- und Fachkräfteverlust von ca. 50 Prozent erleidet.
Mit der mangelnden Anerkennung von Familienarbeit hängt auch die Unterbezahlung von Carearbeit auf dem Arbeitsmarkt zusammen und damit die Lohndiskriminierung allgemein gegenüber Frauen, wie Maria Rosaria Marella und Sveva Stancati dargelegt haben (Newsletter 2021#3).

Als wohl eine der wenigen Arbeitgebenden hat die Stadt Bern die Bedeutung ausserberuflich erworbener Kompetenzen und Erfahrungen erkannt: Ihr Personalreglement  sieht in Art. 10 vor, dass «beruflich sowie ausserberuflich (Haus- und Familienarbeit, freiwillige und ehrenamtliche Arbeit) erworbene Kompetenzen und Erfahrungen, soweit sie dem Kompetenzenprofil der Stelle entsprechen, gleichwertig zu berücksichtigen sind».
Bezüglich volkswirtschaftlichen Nutzen der unbezahlten Arbeit von Frauen können wir nur einmal mehr auf den Makroskandal hinweisen, den die feministische Fakultät zusammen mit Mascha Madörin aufgezeigt hat: Makroskandal