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FRI Newsletter 2019#3 – Editorial

Liebe Leser*innen
 
Wie bei einer Entwicklungsstörung, bei der Milchzähne zwar ausfallen aber nicht nachwachsen, verliert auch das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG, SR 151.1) nach und nach seinen Biss. Obschon Frauen bei insgesamt etwa gleicher Gesamt-Arbeitslast bloss etwa die Hälfte verdienen, wird einzig ein Lohnunterschied von 7.7% als diskriminierend dargestellt («Erklärbare Lohnunterschiede» in Newsletter 2019#2 und Makroskandal der feministischen Fakultät), was nicht zu Lohngleichheitsklagen ermutigt. Selbst ein- und derselbe Arbeitgeber darf unterschiedliche Lohnsysteme führen (BGer 8C_693/2016 vom 4. Juli 2017, Newsletter 2017#3). Kündigungen nach Mutterschaftsurlaub nehmen zu, aber dem höchsten Schweizer Gericht ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Nennung des Abwesenheitsgrundes der Mutterschaft in einem Arbeitszeugnis negativ auswirken sollte (BGE 8C_134/2018 vom 17. September 2018, Newsletter 2019#1). Gleichlange Ausbildungen haben unterschiedlichen Wert (BGer 8C_696/2016 vom 19. September 2017, Newsletter 2018#1), Lehrpersonen haben in den Mutterschaftsurlaub fallende Ferien während der Arbeitszeit vor- oder nachzubeziehen, ohne dass eine Vertretung organisiert werden muss (BGer 8C_162/2018 vom 4. Juli 2018, Newsletter 2018#3), usw. Trotz Beweislasterleichterung bleibt der Nachweis einer Diskriminierung eine probatio diabolica (BGer 8C_376/2015 vom 24. März 2016, Newsletter 2016#2). Gleichzeitig werden die Finanzhilfen für Beratungsstellen trotz gleichbleibender gesetzlicher Grundlage gänzlich gestrichen (Newsletter 2018#1). Daneben wird das GlG kaum weiterentwickelt: Die mit Ach und Krach eingeführte Analysepflicht bleibt sanktionslos und nicht umfassend (Newsletter 2019#1– in Kraft per 1. Juli 2020). Und kürzlich hat das Bundesgericht bestätigt, dass Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung (insbesondere  Homosexualität) als solche nicht unter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GlG fallen (dazu die Beiträge in diesem und in Newsletter 2018#4). Die Autorinnen der Beiträge zu Art. 3 GlG in den beiden Kommentaren zum Gleichstellungsgesetz fassen das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts so auf, dass es darauf abzielt, bestimmten Erwartungen an typisch männliches/weibliches Erscheinungsbild und/oder Verhalten sowie Stereotypisierungen einen Riegel zu schieben. In der juristischen Lehre wie auch im Rahmen der CEDAW wird dieses Verbot daher zunehmend auch als Diskriminierungsverbot infolge Abweichungen von Gendernormen aufgefasst, das Geschlecht wird nicht nur als genital-biologische Kategorie qualifiziert, sondern als sozialbedingte Erwartung an Einzelne, sich geschlechtsrollenkonform zu verhalten, aufgefasst. Obschon das Bundesgericht bei anderen Gelegenheiten gerne auf den gesellschaftlichen Wandel verweist, besteht es in diesem Falle auf einer engen, historisch begründeten Auslegung und versagt damit dem Gleichstellungsgesetz das Nachwachsen neuer Zähne. Hätte sich der Kläger, der eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung geltend machte, auf das Gleichstellungsgesetz berufen können, hätte der Fall auch materiell beurteilt werden müssen. Das Gleichstellungsgesetz hätte damit einen effektiveren Zugang zum Gericht verschafft. Selbst bei den Gerichten scheint somit der effektive Wille, Diskriminierungen zu beseitigen und den – auch allgemeinen – Gleichheitssatz zumindest in der arbeitsrechtlichen Realität durchzusetzen, nicht besonders entwickelt zu sein. Der Ermessensspielraum der Behörden und die sogenannte Vertragsfreiheit – der Arbeitgebenden – werden höher gewertet, der gerichtliche Spielraum reduziert. Der längst empfohlene Aktionsplan «Diskriminierungsverbote» (Synthesebericht der Studie «Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen» des schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte SKMR) verbleibt bis jetzt eine Utopie. Es bleiben lediglich kleine Lichtblicke – dem Funkeln des winzigen Diamanten auf dem Zahn gleich.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Romina Loliva (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel