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FRI Newsletter 2019#2 – Editorial

Liebe Leser*innen

Am 14. Juni werden die Frauen* landesweit streiken. Sie fordern tatsächliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen und das nicht zum ersten Mal. So wie die Forderungen nicht auf die Lohnarbeit beschränkt sind, bestreiken die Frauen* nicht nur die bezahlte Arbeit, sondern auch die Haus- und Care-Arbeit, die Schule, die Wissenschaft, die Politik. Dies mit dem Hauptziel, Frauen* und ihre Leistungen sowohl individuell als auch kollektiv im öffentlichen und privaten Raum sichtbar zu machen. Die Frauen* entledigen sich des Zwanges der Doppelbelastung und der «charge mentale» und nehmen sich die Freiheit, die ihnen zusteht – zumindest für einen Tag. So gesehen ist der feministische Streik ein emanzipatorischer Akt, der gleichzeitig Befreiungsmoment und Initialzündung für künftige Entwicklungen ist. Der Streik ist auch Anlass, das Recht zu hinterfragen, und dies auf verschiedenen Ebenen. Denn das Recht ist ein Instrument, um gegen Herrschaftsverhältnisse anzukämpfen, es kann aber gleichzeitig auch als Instrument dienen, um diese zu zementieren. Gleichstellungsartikel  und Gleichstellungsgesetz (GlG) sind dafür exemplarisch: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung verankert, das Gesetz sorgt für die tatsächliche Gleichstellung und konkretisiert den Verfassungsauftrag. Allerdings kann das GlG die Durchsetzung dieser Prinzipien nicht bewirken, wenn es durch Einschränkungen und Ausnahmeregelungen zurückgebunden und vom Gesetzgeber nicht weiterentwickelt wird. Es verkommt zum Papiertiger, wie die letzte Teilrevision des GlG veranschaulicht: Kleine Anpassungen bei der Lohngleichheitsanalyse werden als Erfolg gefeiert, an der tatsächlichen Diskriminierung beim Lohn ändert sich für die Frauen* sehr wenig bis nichts.
Im Hinblick auf den 14. Juni wird die Frage, ob der Streik rechtmässig sei, lauter diskutiert, als jene, ob der Streik aufgrund der Missverhältnisse und Diskriminierungen, die angeprangert werden, legitim ist. Dieser Umstand schürt Unsicherheiten, wirkt sich repressiv aus und ist Teil der patriarchalen Strategie, die Machtverhältnisse zu Ungunsten der Frauen* konservieren will.
Auch darum streiken die Frauen*. Und darum beleuchtet das FRI im Sinne der feministischen Rechtswissenschaft in diesem Newsletter rechtliche Aspekte sowohl des Streiks an sich, als auch der Forderungen, die am 14. Juni gestellt werden. Wir laden dazu ein, die Prämisse, dass der Frauen*streik in der Schweiz nicht rechtskonform sei, einer kritischen Analyse zu unterziehen und betten sie ein in den internationalen Kontext, werfen einen Blick über die Landesgrenzen – zum Beispiel nach Italien, wo der politische Streik als Ausdruck von Protest von der Verfassung geschützt wird – und empfehlen weiterführende Beiträge zur Rolle der Frauen* im Arbeitskampf.
Diskutiert wird, ob und wie Haus- und Familienarbeit entgolten werden soll und ob eine Reduktion der Arbeitszeit einen gewichtigen Lösungsansatz für die tatsächliche Gleichstellung der Frauen* darstellt. Der Newsletter gibt schliesslich einen Überblick über die aktuellen rechtspolitischen Geschäfte.
Für diese Ausgabe konnten wir interessante Gastbeiträge von Autori*nnen aus verschiedenen Disziplinen und von Akteur*innen des Streiks zusammenstellen, ihnen gebührt unser besonderer Dank.
In diesem Sinne wünschen wir allen einen schönen, bunten und erfolgreichen Streik.

Für die Redaktion:
Michelle Cottier, Alexandre Fraikin, Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer, Romina Loliva (verantwortliche Redaktorin) und Rosemarie Weibel